ENTWEIHT
vermisst gemeldet worden war.
Kriminalinspektor Manolis Papastamos, Experte, was das Leben auf den griechischen Inseln sowie ihre Mythen und Legenden anging, war von Kavála aus mit der Fähre gekommen, quasi als Antwort auf ein Hilfeersuchen der Inselpolizei, die aus einem fetten, alten Sergeanten und vier im Großen und Ganzen unerfahrenen Dorfpolizisten bestand. Derartige Ermittlungen sprengten einfach den Rahmen auf einer Insel mit einem Durchmesser von weniger als hundert Kilometern, die hauptsächlich vom Tourismus – dem Sand, der Sonne und dem tiefblauen Meer – lebte. Aber die Touristenzahlen sanken seit nunmehr fünfzehn Jahren, und zu einem Zeitpunkt, an dem die Drachme höchst instabil war, sorgte so etwas für äußerst schlechte Publicity. Und die konnte man sich nicht leisten.
Als Papastamos mit Eleni Barbouris, einer Gerichtsmedizinerin, die gemeinsam mit ihm von Kavála aus übergesetzt hatte, eintraf, befand die Leiche sich, von einem steif gefrorenen Laken und einer dünnen Eisschicht überzogen, seit vierundzwanzig Stunden im »Kühlhaus«, einer beschlagnahmten Eiscremekiste im Hinterzimmer des weiß getünchten, kaum mit dem Notwendigsten ausgestatteten Polizeipostens von Limari.
Manolis Papastamos war nicht sehr groß und schmal und doch vermittelte er den Eindruck großer innerer Stärke. Sehnig und sonnengebräunt sah er mit seinem glänzend schwarzen, gewellten Haar aus wie ein typischer Grieche, es gab jedoch einen bedeutenden Unterschied: Zusätzlich zu den ungestümen Leidenschaften seiner Heimat hatte er einen scharfen Verstand, unglaubliche Reflexe und bewegte sich auch entsprechend. Kurz, Langsamkeit und Saumseligkeit waren ihm fremd, und hatte er erst einmal damit begonnen, Nachforschungen anzustellen, ließ er nicht mehr locker. Manolis war Mitte fünfzig und eine gepflegte Erscheinung in seinem schwarzgrauen, leichten Sommeranzug, dem weißen Hemd mit dem offenen Kragen und seinen grauen Schuhen. Und trotz seines wettergegerbten Gesichts, in dem sich allmählich die ersten Falten zeigten, sah er, gemessen am klassischen griechischen Standard, mit seiner geraden Nase, der hohen Stirn, den ebenmäßigen Wangen und dem abgerundeten Kinn mit dem kleinen Grübchen noch immer gut aus.
Vor über zwanzig Jahren war er noch voller Eifer – und auch voller Ouzo und Metaxa – und kaum zu bändigen gewesen, doch dann war etwas geschehen, was ihn verändert und in seinem Leben eine Kehrtwende eingeleitet hatte. Er war um einiges ernster und nachdenklicher geworden und befasste sich mit seltsamen Dingen. Wenn seine abgebrühten, fest auf dem Boden der Tatsachen stehenden Kollegen in Athen gewusst hätten, womit Manolis sich in seiner knapp bemessenen Freizeit beinahe wie ein Besessener beschäftigte ... nun, sie hätten es zumindest merkwürdig gefunden.
»Wir sollten sie da rausholen und auf einen Tisch legen«, sagte Eleni Barbouris, nachdem sie das Tuch zurückgeschlagen hatte. »Sie ist noch nicht so tiefgefroren, dass ich nicht schneiden kann. Ja, eigentlich ist die Kälte ganz gut, dann riecht es nämlich nicht so streng. Sehen Sie den geschwollenen Unterleib? Er ist völlig aufgebläht, weil sie so lang im Wasser gelegen hat. Ohne Gasentwicklung geht das nicht ab ...«
Er wusste, was sie meinte. Als kleiner Junge hatte er in Phaestos auf Kreta mit angesehen, wie ein toter Delfin an Land gespült wurde. Ein riesiges Tier, über zwei Meter lang und gut ein Meter zwanzig breit (weil es so furchtbar aufgeschwollen war) und viel zu schwer, um es von der Stelle zu bewegen. Die einheimischen Feuerwehrleute wollten den Leichnam verbrennen. Doch da sie annahmen, dass er voller Salzwasser war, was dem Verbrennen nicht dienlich wäre, schien es am vernünftigsten, zunächst das Wasser herauszulassen. Doch als einer der Männer dem Delfin das spitze Ende seiner Feuerwehraxt in den Bauch hieb ...
… explodierte das Tier förmlich!
Das tote, gummiartige Fleisch durchlief ein Beben, es zitterte geradezu, und unter lautem Zischen und Blähgeräuschen platzte es auf wie eine überreife Melone und überschüttete die Umstehenden, darunter auch den jungen Manolis mitsamt seinen Freunden aus dem Dorf, mit einer wahren Fontäne fauliger Flüssigkeit! Der fürchterliche Gestank hatte ihm tagelang angehaftet und seiner Mutter war es nicht gelungen, den Geruch aus den Kleidern zu waschen ...
»Sie wollen eine Autopsie vornehmen?«, fragte er, indem er einen Schritt zurückwich.
»Das haben Sie doch
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