ENTWEIHT
sicher schon oft gesehen«, erwiderte Eleni. »Oder kommt es in Athen nicht vor, dass Menschen unter ungeklärten Umständen sterben?«
»Die Frau lag im Wasser«, sagte Manolis und rümpfte dabei die Nase. »Gasentwicklung? Ich kann sehr gut ohne das auskommen.«
Eleni war ungefähr in seinem Alter, aber die Zeit und ihre Arbeit waren nicht spurlos an ihr vorübergegangen. Ihr Haar wurde allmählich grau und irgendwie wirkte sie in sich zusammengeschrumpft. Sie war eine kleine, blasse Frau, aber doch sehr kompetent, davon war Manolis überzeugt. Mehr noch, er vermutete, dass sie nicht halb so kalt und gefühllos war, wie sie sich gab.
»Ich habe Mullmasken«, sagte sie. »Wenn man sie in Kölnisch Wasser oder meinetwegen auch Ouzo tunkt, schwächt das den Gestank ab. Ganz können sie ihn aber nicht fernhalten.« Sie wandte den Kopf und blickte ihn spöttisch an.
»Andererseits, Sie brauchen auch gar nicht zuzusehen, wenn Sie nicht möchten. Haben Sie einen empfindlichen Magen?« In ihrer Stimme schwang keinerlei Humor mit und auch kein Mitgefühl.
Nun, vielleicht gab Eleni Barbouris sich ja doch nicht nur so, vielleicht war sie wirklich kalt und hartherzig! »Ich bleibe«, erwiderte er mit einem Nicken. »Aber zuerst sollen uns die hiesigen Jungs hier helfen, sie da herauszuholen ...«
Nachdem die Dorfpolizisten verschwunden waren – und sie hatten es allesamt sehr eilig, zu gehen –, machte Eleni sich an die Arbeit. Zunächst untersuchte sie das Äußere des Leichnams. Was den Kopf der Leiche anging, war nicht viel zu machen, aber falls die Verletzungen der Ohren und der unteren Gesichtshälfte wirklich von einer Schiffsschraube stammten, hatte der Rest des Körpers erstaunlich wenige Abschürfungen davongetragen.
An der linken Halsseite befand sich eine Wunde. In dem geschwollenen Fleisch zwischen dem fehlenden Ohr und dem Schlüsselbein hatte irgendetwas eine zirka eins Komma fünfundzwanzig Zentimeter breite und über einen halben Zentimeter tiefe Kerbe gerissen; diese Verletzung hätte durchaus von einem Schraubenblatt herrühren können, doch anscheinend hegte Eleni Zweifel. Hinter dem fehlenden Kiefer war die Kehle verstopft, wahrscheinlich durch Seetang. Dort begann die Pathologin, indem sie die Luftröhre durchschnitt und oberhalb des Schlüsselbeins in zwei Lappen offenlegte.
In dem Einschnitt befand sich, dicht neben dem oberen Ende der Speiseröhre, eine dunkle Masse, die einen festen Pfropfen bildete. Eleni stupste das Ding mit ihrem durch den Gummihandschuh geschützten Finger an und stellte fest, dass es weich und nachgiebig war. Es war weder Seetang noch ein Bestandteil des menschlichen Körpers – es sei denn, es handelte sich um einen ins Extreme angewachsenen Tumor.
Fasziniert machte sie den halben Brustkorb hinab einen Schnitt durch die Brustmuskulatur und gebrauchte eine elektrische chirurgische Säge, um das obere Brustbein von den Rippen zu lösen und zu entfernen. Zu guter Letzt durchtrennte sie den Rest der oberen Speiseröhre und legte mehr von dem Pfropfen frei. Doch noch immer war er nicht zur Gänze enthüllt.
Manolis hatte, bestrebt, den stetig stärker werdenden Geruch nach Tod und Verwesung, so gut es ging, zu ignorieren, die ganze Zeit über zugesehen. Nun murmelte er durch den ouzogetränkten Mull und den Gestank nach Anis und Fäulnis hindurch: »Was, zur Hölle ... ist das?«
Über ihre groteske, irgendwie einschüchternd wirkende Schutzmaske hinweg blickte Eleni ihn groß an. Ihre grauen Augen waren geweitet, sie wirkte unsicher. Doch dann zuckte sie bloß die Achseln und meinte: »Das werden wir wissen, wenn wir es rausgeholt haben.« Das Objekt, was immer es sein mochte, verstopfte die Speiseröhre der toten Frau vollständig. Es war graublau und zerfurcht wie ein zusammengeschobener Wurm beziehungsweise eine Schnecke. Und was seine Beschaffenheit betraf:
»Es kommt mir ziemlich fest vor ... uh!«, ächzte Eleni, während sie ihre Finger in die Speiseröhre grub, um diese zu weiten. »Ich glaube nicht, dass es unter Druck zerbrechen wird. Vielleicht kann ich es an einem Stück rausholen, ohne weiter ›herumzuschnippeln‹.« Damit zog sie ohne viel Aufhebens das Ding heraus und hielt es Manolis unter die Nase, damit er es betrachten konnte. Er war noch weiter zurückgewichen, was sich als gut erwies. Denn dasselbe, was mit dem Delfin in Phaestos geschehen war, passierte nun auch mit dieser armen, toten Frau.
Es war, als hätte die Pathologin eine Flasche
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