ENTWEIHT
nicht mehr raus.«
Das Laken lag, nun aufgetaut und schlaff, auf einem kleinen Beistelltischchen in der Ecke des Raumes. Mit zwei Schritten war Manolis dort, doch dann zögerte er einen Moment, ehe er das Laken zurückschlug. Leblos lag das Ding vor ihm, gut fünfunddreißig Zentimeter lang, stumpf und spatelförmig an dem einen, sich verjüngend und spitz zulaufend am anderen Ende. Es sah aus wie ein blinder, mit dem Kopf einer Kobra ausgestatteter Egel. Der Körper war zerfurcht oder vielmehr in Segmente gegliedert; ganze Reihen von Haken, die es aufrichten konnte, lagen flach am Rücken und an den Seiten an. Aus kleinen Knötchen am Ansatz des sich verjüngenden Halses wuchs, ähnlich den Haftfäden einer Muschel, ein Kragen klebrig-feuchter Fäden, an denen noch Tropfen perlten. Schlaff lagen sie auf der Glasplatte des Tisches.
Manolis zog einen Kugelschreiber aus seiner Tasche und hob den Schwanz an. Aus einem kurzen, röhrenartigen Organ – der Anus, vielleicht auch ein Organ zur Eiablage – ragte etwas Graues, Kugelförmiges. Es war nur zur Hälfte sichtbar, hatte aber in etwa die Größe einer Murmel. Ein paar Tröpfchen einer silbrig glänzenden Flüssigkeit quollen daraus hervor und verschmierten das Glas.
»Und das da?« Manolis blickte Eleni an, die ihm zu dem Tischchen gefolgt war.
Ihre Antwort bestand in einem Achselzucken. »Keine Ahnung. Eine Art Seemaus vielleicht? Irgendetwas, was der Stachelhäuter gefressen hat. Ihm blieb bloß keine Zeit mehr, es zu verdauen.«
»Eine Seemaus?«, sagte Manolis. »Erst kommen Sie mir mit Seegurken und jetzt mit Seemäusen?«
Abermals zuckte sie die Achseln, nun allerdings bereits etwas ungehalten. »Ein Ringelwurm der Gattung Aphroditidae. Er schillert in allen Regenbogenfarben und ist ganz hübsch anzuschauen, wenn er lebendig ist. Als Kind interessierte ich mich für alles, was mit Biologie zu tun hat. Aber jetzt bin ich kein Kind mehr und habe andere Interessen. Ich bin Pathologin, keine Meeresbiologin! Was haben Sie denn, Manolis – weshalb schwitzen Sie so?«
»Mir ... mir geht es immer noch nicht so gut«, antwortete er, was ja auch zutraf.
Sie hatte ihre Gummihandschuhe bereits ausgezogen. Nun streckte sie die bloße Hand nach dem Organismus auf dem Tisch aus. »Und dieses Ding hier ist tot und riecht, und man sollte es ...«
Mit einer blitzschnellen Bewegung hielt Manolis ihr die Hand fest. »Man sollte es verbrennen!«, sagte er. »Rühren Sie das Ding nicht an. Berühren Sie niemals etwas, was auch nur annähernd so aussieht!«
»Was?« Entsetzt, verblüfft starrte sie ihn an.
Sanft schob er sie beiseite. »Mag sein, dass ich mich irre. Und falls ja, entschuldige ich mich im Voraus. Aber ich halte dieses Ding keineswegs für einen wie auch immer gearteten Stachelhäuter. Ich werde dafür sorgen, dass es auf der Stelle eingeäschert wird.«
Eleni starrte ihn weiterhin an und folgte jeder seiner Bewegungen, während er den Organismus in das Laken schlug. »Kein Stachelhäuter? Und wofür, um alles in der Welt, halten Sie es dann? Falls das Ding auch nur im Entferntesten etwas mit diesem Fall zu tun hat – falls es ein Hinweis darauf ist, dass hier etwas nicht stimmt – weshalb wollen Sie es dann verbrennen? Das ist Vernichtung von Beweismitteln!«
»Unsere Beschreibungen aufgrund des Augenscheins werden ausreichen«, erklärte er ihr. »Aber eines ist sicher: Ich lasse nicht zu, dass irgendjemand dieses Ding hier aufschneidet, um nachzusehen, was es zum Ticken brachte! Seien Sie bloß froh, dass es damit aufgehört hat.«
»So, wie Sie reden, könnte man annehmen, es handle sich um eine Bombe«, erwiderte sie. »Aber ...«
»Kein Aber. Sie haben hier gute Arbeit geleistet. Und jetzt schlage ich vor, wir fahren zurück in unser Hotel nach Krassos, machen uns ein bisschen frisch und gehen in eine Taverne etwas essen. Die Tavernen dort sind wirklich exzellent. Sie sind eingeladen.«
»Nun« – völlig verwirrt schüttelte sie den Kopf –, »Sie haben hier wohl das Sagen, und ...«
»Ja, das habe ich«, pflichtete er ihr bei. »Und jetzt suchen wir diese Polizisten. Ich möchte, dass diese Leiche auf Eis gelegt wird – aber wirklich tiefgekühlt diesmal, wenn möglich in Krassos. Ich habe ein paar Freunde in London, die sie sich wahrscheinlich gerne ansehen würden.«
Sein kleines, weißes Bündel auf Armeslänge vor sich haltend, verließ er mit ihr die Wache. »Und was Ihre angebliche Seegurke betrifft: Bezüglich der Beweismittel
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