ENTWEIHT
mussten dies Jüngere übernehmen. Und wer war dazu besser geeignet als der Necroscope Nathan Kiklu, in dieser Welt Keogh genannt? Aber wenigstens konnte Lardis hier in dieser Welt seinen Kampf gegen die Wamphyri fortsetzen, und zwar nicht nur in beratender Funktion. Drüben in Australien war er mit seiner getreuen Machete von unschätzbarem Wert gewesen …
Doch auch schon vor Australien, als Trask Lardis aufs griechische Festland geschickt hatte, war dies kein fruchtloses Unterfangen gewesen, nicht irgendein Vorwand, bloß um ihn zu beschäftigen. Es hatte handfeste Gründe dafür gegeben.
Seitdem die Wamphyri im Verborgenen in diese Welt eingedrungen waren, hatte das E-Dezernat die ganze Zeit über nach Anzeichen für einen Vampirbefall Ausschau gehalten. Millie Cleary – aufgrund ihrer Fähigkeit, selbst die kleinsten alltäglichen Dinge in ihrem außergewöhnlichen Gehirn zu speichern, von ihren ESPer-Kollegen oft scherzhaft als »die Akte Zeitgeschehen«, mitunter auch als »wandelndes Lexikon« bezeichnet – hatte Trask auf einen interessanten Punkt aufmerksam gemacht.
Auf dem Weg zur Arbeit hatte sie in der U-Bahn (auf einer der wenigen Linien, die nach der großen Überschwemmung von 2007 und dem darauf folgenden, fast völligen Zusammenbruch des Netzes noch in Betrieb waren) zufällig in einer Zeitung, einem Sensationsblatt, geblättert, das jemand liegen gelassen hatte. Es handelte sich zwar nicht um die seriöse Berichterstattung von Reuters – und war auch kaum das, was Trasks Quellen diesem automatisch vorlegen würden – doch eine Überschrift auf Seite vier weckte Millies Interesse:
Vampire! – Mythos oder Wirklichkeit?
Auf einem Foto war ein Mädchen mit Silbermünzen auf den Augenlidern zu sehen, dessen Sarg irgendwo in Griechenland in ein Grab hinabgelassen wurde … Doch die Story unterschied sich merkwürdig von anderen Veröffentlichungen dieser Art. Sie war nicht im Geringsten reißerisch oder sensationslüstern aufgemacht (angesichts ihrer Erfahrungen beim E-Dezernat und ihres Insiderwissens jedenfalls nicht in Millies Augen), sondern eine direkte Übertragung des ursprünglichen griechischen Zeitungsartikels, vielleicht auch geklaut, ohne die bei solchen zweifelhaften Schmierblättern sonst üblichen Übertreibungen und Dramatisierungen.
Die Geschichte war schlicht: Eine Zigeunergruppe war von Ungarn aus zu einer Wallfahrt oder dergleichen aufgebrochen, und dabei war eine junge Frau krank geworden. Bei ihr wurde Blutarmut diagnostiziert und sie war nach Kavála ins Krankenhaus gekommen – doch ehe sie die Gegend verließen, hatten die Zigeuner sie mit Gewalt aus der Klinik entführt! Die Spuren führten zu einem Dorf in der Nähe, Skotousa, das auf ihrem Weg Richtung Norden lag. Dort wurden die Zigeuner dabei erwischt, wie sie das Mädchen gerade, wie auf dem Foto abgelichtet, begraben wollten. Da keinerlei Hinweise auf Fremdverschulden vorlagen, griff die örtliche Polizei nicht in die Zeremonie ein.
Ein, zwei Tage später kamen die Pathologen im Krankenhaus von Kavála zu dem Schluss, dass die Leiche, da nur Vermutungen, nicht aber gesicherte Hinweise auf die Todesursache vorlägen, obduziert, der Todesfall registriert und ein Totenschein ausgestellt werden müsse. Natürlich wollten die Ärzte damit nur sich selbst und ihr Krankenhaus absichern.
Doch als das Grab in Skotousa geöffnet wurde … fanden sie das Mädchen mit verzerrtem Gesicht vor. Sie hatte Verbrennungen auf den Augenlidern und man hatte ihr einen Pflock durchs Herz getrieben! Offensichtlich hatte jemand (falls nicht ein Angehöriger ihres Zigeunerstammes, dann irgendjemand anders) in ihr eine ernsthafte Bedrohung für das Dorf gesehen und sie für einen Vampir gehalten …
Auf Trask hatte dies keinen großen Eindruck gemacht. Aus Erfahrung wusste er, dass sich gerade auf den Mittelmeerinseln und dem Balkan noch alte Mythen und Gebräuche hielten, und immerhin handelte es sich bei diesen Leuten um Zigeuner, deren mündliche Überlieferungen Jahrhunderte zurückreichten. Außerdem waren, und zwar aus den unterschiedlichsten (im Wesentlichen allerdings finanziellen) Gründen, Zigeuner nicht die Einzigen, die an Vampire »glaubten«. Demnächst wollten Hollywood-Produzenten wieder drei neue Vampirfilme, darunter eine weitere Neuauflage von Drakula , auf den Markt bringen; in den Buchläden waren Vampirromane sozusagen der letzte Schrei und füllten immer noch ganze Regalreihen; die »Downliners Sect«, eine in
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