ENTWEIHT
angeben.
Er breitete seine Karten auf dem Tisch, an dem wir gegessen hatten, aus und wählte eine Route nach Skotousa.
›Ich habe so ein Gefühl, dass sie diesen Weg von Kavála nach Skotousa genommen haben‹, sagte er. ›Also nehmen wir ebenfalls diese Route. Wollen doch mal sehen, ob ich sie nicht aufspüren kann.‹
Also nahmen wir diesen Weg. Ständig wollte ich ihm sagen, dass er auf der falschen Straßenseite fahre, aber natürlich irrte ich mich. In Griechenland fährt man rechts! Ich begreife nicht, weshalb ihr euch nicht für ein einziges System entscheidet und euch daran haltet! Dasselbe gilt für eure Sprachen. Was denn, über hundert verschiedene Sprachen und ebenso viele, wenn nicht noch mehr, Dialekte? Kein Wunder, dass ihr dauernd von Kriegen, Nation gegen Nation, geplagt werdet. Auf der Sonnseite haben wir nur eine einzige Sprache: Szgany! Da gibt es keine Über…, äh, Übersetzungsfehler. Und Straßen haben wir auch nicht, nur belaubte Pfade durchs Dickicht der Wälder.
Und ich sage dir mal was: Das Griechische hat mit meiner Sprache einiges mehr gemeinsam als dein Englisch. Innerhalb kürzester Zeit konnte ich so gut wie alles, was gesprochen wurde, verstehen!
Nach Skotousa waren es knapp hundertzwanzig Kilometer; als wir dort anlangten, ging die Sonne unter und es wurde rasch dunkel. Über eure Sonnenuntergänge werde ich wohl nie hinwegkommen … man sieht sie tatsächlich untergehen, besonders in Australien, in Brisbane. Mit einem Schlag ist sie einfach weg!
Na ja, in Skotousa war es jedenfalls nicht schwer, eine Unterkunft zu finden. Wir stiegen in einem Gasthaus ab und gingen am Abend runter in die Schänke. Ich hatte meine Klamotten von der Sonnseite angezogen, weil die bequemer sind, aber damit sah ich fast genauso aus wie die Einheimischen dort, Bauern und dergleichen, die dorthin kamen, um ihren Ouzo oder Metaxa zu trinken oder einfach um sich von ihrem Tagwerk in der fürchterlichen Hitze abzukühlen. Sie saßen unter diesen riesigen, sich gemächlich drehenden Ventilatoren, spielten Brettspiele oder sahen fern, und ich fiel gar nicht weiter auf, jedenfalls anfangs nicht – allerdings fragte mich der Barkeeper, ob ich Zigeuner sei.
›Aye, früher einmal, es ist schon lange her‹, erwiderte ich mit einem Nicken. Von wie weit weg ich komme, verriet ich ihm allerdings nicht! ›Als ich noch klein war‹, erzählte ich ihm, ›ist mein Stamm immer durch diese Gegend hier gezogen, habe ich mir sagen lassen. Aber sie verkauften mich, als ich noch ein Kind war!‹ Das war natürlich gelogen. Die Geschichte hatte ich von Millie Cleary. Das hatte sie mir über die Traveller deiner Welt erzählt, und es hat mich nicht im Geringsten überrascht. Von alten Gewohnheiten trennt man sich nun mal selten, Ben. Wie denn auch, Nachkommen dieser feigen Supplikanten von der Sonnseite? Hah! Schon ihre Vorfahren gaben ihre Kinder weg, und zwar an die Wamphyri!
›Die haben Sie verkauft?‹ Der Barkeeper wirkte entsetzt. ›An Leute aus England, die besser für mich sorgen konnten!‹
›Ah, das erklärt natürlich Ihre Freunde, diese Engländer‹, sagte er, indem er Bernie und den anderen beiden zunickte. ›Hm, woher waren Ihre Eltern? Rumänische Zigeuner vielleicht? Man hört hier schon seit Jahren, dass die ihre Kinder verkaufen!‹
›Um das herauszufinden, bin ich hier‹, entgegnete ich. ›Man hat mir erzählt, dass mein Stamm früher immer um diese Jahreszeit mit seinen Wagen hier durchzog. Ich bin auf der Suche nach meinen Wurzeln, wissen Sie?‹
›Sie wollen zurück zu den Zigeunern? Nach dem, was die Ihnen angetan haben?‹
›Nein, nein, nicht zurück zu ihnen‹, erwiderte ich. ›Ich möchte nur gern wissen, wie sie sind, wie sie leben. Wären Sie an meiner Stelle denn nicht neugierig? Ich meine, würden Sie denn nicht auch gern erfahren, woher Sie stammen?‹
Darauf blickte er sich verstohlen um und meinte: ›Wenn ich Sie wäre, würde ich das Ganze vergessen. Hin und wieder kommen hier Zigeuner durch. Aber es ist schon ein merkwürdiges Gesindel, das durch Skotousa zieht …‹
›In letzter Zeit auch?‹, erkundigte ich mich.
›Ja‹, nickte er. Und dann beugte er sich über den Tresen und sagte: ›Versuchen Sie es über der Grenze, in Bulgarien, in einem Ort, namens Eleshnitsa.‹
›Glauben Sie, dass sie dort sind?‹, fragte ich. ›Woher wollen Sie das wissen?‹
›Schon seit Jahren ziehen sie auf diesen alten Routen umher‹, erklärte er mir. ›Und, aye,
Weitere Kostenlose Bücher