ENTWEIHT
du denn nicht, dass ich … dass ich etwas für dich empfinde, Jake?« Sie stand auf, ging zur Tür. »Liegt es daran, dass ich telepathisch begabt bin? Hast du Angst, ich könnte zu viel sehen und mitbekommen, was du verbirgst?«
»Nein«, sagte er. »Doch«, und dann, kopfschüttelnd: »Ich kann es nicht sagen, nicht erklären. Ich meine, ich bin noch nicht bereit, es dir zu erklären.«
»Nun, wenn du so weit bist – ich bin gleich um die Ecke. Und versuche, nicht schlecht zu träumen, Jake. Und falls doch, dann ...«, sie zuckte hilflos die Achseln. »Denk’ dran: Ich bin nicht weit weg.«
Er nickte. Sie trat auf den Flur hinaus und schloss leise die Tür hinter sich …
Nachdem Liz gegangen war, wartete Jake eine Weile. Dann ließ er seine Abschirmung völlig sinken und lauschte, lauschte dem fernen, leisen, kaum wahrnehmbaren Flüstern der Toten in ihren Gräbern, dem wogenden Auf und Ab im Äther, das klang wie das gedämpfte Rauschen sich an einem himmlischen Strand kräuselnder Wellen, und dem entfernten Summen und Pulsieren der »wirklichen« Welt, den Geräuschen, die aus dem Hotel in den unteren Stockwerken und der Großstadt draußen vor dem Fenster zu ihm drangen.
Korath war verschwunden. Doch Jake war davon überzeugt, dass er sofort kommen würde, wenn er nach ihm rief. Das Dumme war bloß, dass er auch ungebeten erscheinen könnte. Das war das Problem an der Sache.
Denn Jake wollte sichergehen, dass er, falls beziehungsweise wenn er mit Liz Merrick schlief, auch der Einzige war, der dies tat ...
SECHSTES KAPITEL
DÜSTERE ORTE
Ruhig und verlassen lag die Gebirgsstraße da, kein Lufthauch regte sich, nur der monotone Schrei der griechischen Eulen durchdrang die Düsternis. Im Süden kündeten die auf und ab hüpfenden Lichter weit draußen auf dem Meer von Fischern in ihren Booten, die sich in der immer noch wunderschönen, allerdings hoffnungslos überfischten Ägäis, deren Temperatur um drei Grad über dem für diese Jahreszeit üblichen Durchschnitt lag, ihren Fang sichern wollten.
Im Schein des wie geschmolzenes Silber tief am Himmel stehenden Mondes warfen die Pinien lange Schatten über den leeren, geschotterten Parkplatz vor einem Torbogen, der zu einem sich an die Klippen schmiegenden Kloster führte – ebenjenem Kloster, das Manolis Papastamos nur wenige Stunden zuvor in einem gemieteten Fiat auf seinem Weg ins Verderben passiert hatte.
Von der Straße aus hätte ein unbeteiligter Beobachter (sofern einer dort gewesen wäre) die Silhouette des sich vor dem dunklen Blau des sternenübersäten Himmels abzeichnenden festungsartigen Bauwerkes ebenso gut für eine uralte Kreuzritterburg halten können. Die Glockentürme ragten wie die Hörner eines aus der Tiefe aufgestiegenen Untieres in die Nacht. Und dieses Bild war gar nicht einmal so weit von der Wahrheit entfernt.
Auf dem Parkplatz und entlang der Zufahrtstraße waren in beiden Richtungen unübersehbar Verbotsschilder aufgestellt. Offensichtlich legten die Barmherzigen Schwestern, die das Felsenkloster beherbergte, Wert auf Abgeschiedenheit und Askese, und als Orden taten sie ja auch Buße für die Sünden der Welt. Tagsüber war das Parken erlaubt, um von schwindelerregenden Aussichtspunkten aus die Landschaft zu fotografieren – nachts hingegen nicht. Der Lärm aufheulender Motoren und schlagender Türen, ja, selbst Stimmengemurmel könnte die Nonnen im Gebet stören. Die Gärten im Innern, der Klosterhof, die Außengalerien sowie die Werkstätten und Andenkenläden des Ordens konnten nicht mehr besichtigt werden. Alle Führungen waren auf unbestimmte Zeit ausgesetzt beziehungsweise »so lange, bis die dunklen Mächte dieser Welt sich zurückziehen«. Andere, ältere Hinweisschilder, die Besucher hereinbaten – »Damen nur mit Kopftuch, der Rock muss die Knie bedecken. Herren: bitte keine Shorts, keine bedruckten T-Shirts ...« –, waren mit einem dicken, schwarzen X durchgestrichen oder übermalt worden, sodass die Schilder nun folgende Aufschrift trugen:
KEINE BESICHTIGUNGEN –
ZUTRITT VERBOTEN!
EINLASS FÜR LIEFERANTEN
NUR MIT GENEHMIGUNG!
Alles in allem machte das Kloster einen abweisenden Eindruck. Selbst die Lichter, die vereinzelt in den Turmfenstern brannten, wirkten, als rührten sie von flackernden Kerzen her. Und auch dies war nicht allzu weit von der Wahrheit entfernt; denn die Mutter Oberin, die dem Konvent seit drei Jahren vorstand, hielt nicht viel von Elektrizität und hatte den Gebrauch von Strom
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