ENTWEIHT
untersagt – nur das Telefon, über das sie die Aufsicht hatte, durfte damit betrieben werden, und weitere lebensnotwendige Bereiche wie das Waschen, das Reinigen und Kochen, ohne die das Kloster nicht bestehen könnte.
Im Augenblick schlief die Mutter Oberin. Vorhin hatte sie eine Ausfahrt mit dem Wagen unternommen – in »Klosterangelegenheiten« – und nun wünschte sie zu ruhen. Denn es nahm sie sehr mit, während der Tages- und selbst während der Abendstunden auf den Beinen zu sein. »Das Tageslicht ist ein Übel«, pflegte sie immer zu sagen, »bloß dazu geschaffen, Dinge zu sehen, zu sagen und zu denken, die man weder sehen noch aussprechen noch denken sollte. Das Gleiche gilt für die Verständigung mittels elektrischem Strom. Damit werden nur alberne Gerüchte in der Welt verbreitet. Und zur künstlichen Beleuchtung genügen Kerzen aus gutem Fett. Was? Wachs? Ah, na gut, dann nehmen wir eben Wachs. Obwohl Fett angenehmer, irgendwie kräftiger duftet ...«
Außerdem war sie, wahrscheinlich aufgrund ihrer Erregung, erschöpft. Vor der Ausfahrt hatte man sie gehört, wie sie »Vater« Maralini laut Vorhaltungen machte. Vater Maralini war ein Gast aus Rom (dies jedenfalls hatte sie gesagt), der sich nun bereits seit anderthalb Wochen im Kloster aufhielt, einer langjährigen Regel zum Trotz, die den Aufenthalt von Männern strikt untersagte. Mehrere der Schwestern waren dieser »ehrwürdigen« Gestalt begegnet und wussten, dass er ebenso geartet war wie die Lady der Heiligen Stätte ( ahhh, nein, nein – man musste seine Worte sorgsam wählen – wie die »Mutter Oberin« natürlich) …
Entgegen allen Regeln, die Vavara schrittweise eingeführt hatte, seit sie vor drei Jahren das Kloster übernommen hatte, befanden sich zwei der Schwestern, die stärker waren als die übrigen, draußen in dem den Innenhof umgebenden Kreuzgang. Im Schatten der Feigenbäume hatten sie sich auf einer Bank niedergelassen. Die eine hieß Schwester Delia und war aus dem Süden Irlands, die andere Schwester Anna und stammte aus New York. Und obwohl sie eigentlich Wache halten sollten, waren sie hier draußen und unterhielten sich miteinander.
»Wir sind verdammt«, flüsterte Delia mit ihrem ausgeprägt irischen Akzent heiser. Die Verwandlung hatte, wie bei den übrigen Schwestern, auch ihre Stimme erfasst; sie war nurmehr ein Krächzen. Einst war sie ein hübscher Rotschopf gewesen. Doch nun hatte man ihr das Haar geschoren, und in ihrem Kapuzentalar wirkte sie dürr und ausgemergelt. »Sollten wir zu fliehen versuchen und uns von hier fort wagen, würden sie uns umbringen. Und selbst wenn sie uns nicht fände, hätten wir doch keine Chance. Wir sind von … widernatürlichen Gelüsten und Begierden getrieben« (ein Schauder lief ihr über den Rücken) »und stehen unter dem Zwang, Blut zu saugen und Leben zu nehmen. Die Menschen würden Jagd auf uns machen, um uns zu töten. Und sollten sie uns nicht kriegen, würde uns früher oder später die Sonne ...«
»Oder Christus, der Menschensohn«, meinte Anna. Früher war sie immer verträumt gewesen und hatte eine dichterische Ader gehabt, und nun schien sie ständig bemüht, die Erinnerung an jene Zeit wieder heraufzubeschwören. »Der Sohn Gottes, des Vaters. Wir dienten beiden und auch Maria, weißt du noch? Und jetzt dienen wir jemand anders, der sich dem Teufel verschrieben hat! Die Sonne oder der Menschensohn oder die ›Mutter Oberin‹, eines davon wird uns gewiss vernichten. Wie sagt man dazu, Schwester Delia? Dichterische Freiheit oder poetische Gerechtigkeit?«
»Mit Gerechtigkeit hat das alles gar nichts zu tun«, erwiderte Delia. »Vergiss das Ganze! Wir kommen alle in die Hölle, du und ich, und die anderen von uns ebenfalls. Gott hat sich von uns abgewandt, weil unser Lebenswandel wider die Natur ist, deshalb. Nein, ich rede hier nicht bloß von Vavaras Art oder Widernatürlichkeit. Ich meine, hast du dir nie vorgestellt, es mit einem Mann zu tun? Vielleicht mit dem Burschen, der den Honig liefert? Oh, ich habe mitbekommen, wie du ihn manchmal ansiehst. Ich habe sogar gesehen, wie du ihm zugelächelt hast. Das heißt früher, als du dich noch trautest, zu lächeln! Das war natürlich. Es ist natürlich zu lieben und zu begehren und hin und wieder einen Mann auf dem Bauch liegen zu haben oder es sich auch bloß vorzustellen. Aber so, wie wir lebten? Niemals! Von oben bis unten vermummt? Wir waren doch völlig verschüchtert und hatten Angst vor unserem eigenen
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