Entzweit : Vereint (ambi : polar) (German Edition)
Verhältnissen in deinem Volk. Überhaupt dieses Traditionsgerede. Vielleicht sollte ich dich darauf aufmerksam machen, dass die Menschheit inzwischen dem Mittelalter-Joch entkommen ist und du und deine Sippe euch vielleicht auch endlich mal weiterentwickeln solltet.“
Nun wurde Davids Blick hart. „Die Mensch en hinken uns in allem hinterher. Sie sind es, die in der Evolution stehen geblieben sind.“ Seine Stimme klang nun harsch. „Mein Volk ist sehr viel weiterentwickelter und unsere Verbundenheit und unser gegenseitiges Verantwortungsgefühl sind gerade das, was uns auszeichnet. Wir halten zusammen und sorgen füreinander. Der menschliche Egoismus ist zerstörerisch für die gesamte Menschheit und sorgt für ihre Zerstrittenheit untereinander. Bei uns gibt es diese Religions- oder Kulturkämpfe nicht. Wir wissen, dass wir alle Eins sind.“
„Ach? Du findest es also nicht egoistisch, wenn ein Vater seinen eigenen Sohn nicht seinen Weg gehen lässt? Wenn er ihn nicht liebevoll darin unterstützt, seinen Traum zu leben, sondern ihn zwingt, einer Aufgabe nachzugehen, die er hasst? Das nennst du fortschrittlich und verbunden? Von gegenseitigem Verantwortungsgefühl ganz zu schweigen. Kein Wunder, dass es keine Streitigkeiten in deinem Volk gibt. Ihr lebt in einer archaischen Monarchie, da ist das immer so, dass man vor dem Herrscher kuscht.“
David gab einen Knurrlaut von sich und machte eine schnelle Vorwärtsbewegung auf mich zu, so dass er plötzlich bedrohlich nah direkt vor mir stand. Seine eisblauen Augen funkelten mich kalt an. „Wir leben nicht in einer Monarchie und ich kusche nicht“, gab er grollend von sich.
Ich versuchte mich von seinem bedrohlichen Gebaren nicht einschüchtern zu lassen und zog betont gleichgültig eine Augenbraue hoch. „Ach, ja? Wieso bist du dann nicht in Australien geblieben? Als Arzt im Dienste der Menschheit?“
„Weil ich die Verantwortung habe, mein Volk zu beschützen“, knurrte er zurück. „Ich stelle meine Bedürfnisse unter die meines Volkes, weil es so richtig ist.“
„ Ja und das macht dich ja so glücklich“, fügte ich sarkastisch hinzu.
David zuckte jäh zurück und ein schmerzvoller Blick huschte über sein Gesicht. Dann glätte sich seine Miene wieder zu der typischen Ausdruckslosigkeit, die er so oft zeigte. „Ja, es macht mich glücklich, weil es damit meinem Volk gut geht.“
„Na, gut. Dann ist es doch auch kein Problem, dass du den Wünschen deiner Familie folgst. Warum solltest du mich dann beneiden?“
David warf mir einen dunklen Blick zu, ganz so, als wüsste er, dass ich Recht hatte aber er wollte es nicht zugeben. Dann wandte er sich ab, ohne etwas zu erwidern. Er ging an die Kaffeemaschine und schenkte sich Kaffee ein. Eine angespannte Stille senkte sich über uns und ich wusste, ich sollte mich jetzt zurückhalten, aber die Frage rutschte mir schneller raus, als dass ich sie hätte aufhalten können.
„Du musst eine Frau heiraten, die deine Familie für dich raussucht?“ Ich biss mir, kaum dass ich das ausgesprochen hatte, auf die Unterlippe. David blieb mit dem Rücken zu mir gewandt an der Kaffeemaschine stehen und schwieg. Klar, wieso sollte er darauf antworten, wo ich gerade seine Familienhörigkeit verächtlich abgetan hatte.
„Es dient der Sicherstellung des Überlebens unserer Art“, sagte er nach einer Weile leise. Ich starrte auf seinen breiten Rücken. Er konnte mir dabei anscheinend nicht in die Augen blicken. „Es werden Familienbande geknüpft, die sowohl der genetischen Fortpflanzung unserer Art, als auch dem Wohlergehen des gesamten Volkes zuträglich sind. Um Verbundenheit zu schaffen. Das Zusammengehörigkeitsgefühl zu fördern. Verantwortungsbewusstsein zu sichern. Deswegen wählen die Familienväter die geeigneten Verbindungen für ihre Kinder aus und stellen sie dem Rat zur Abstimmung beziehungsweise Genehmigung vor. Es gibt folglich mehr Bündnisse als Liebesheiraten, obwohl auch diese vorkommen. Wenn es keine Einwände seitens Familienvorstand und Rat gibt, können auch Bindungen eingegangen werden, die aus gegenseitiger Liebe entstanden sind.“
„Das klingt sehr nüchtern“, entfuhr es mir.
Nun drehte David sich um. Sein Gesicht war eine einzige starre Maske. „Das ist es“, gab er zu. Die Art wie er das sagte, zeigte mir, dass ich dazu besser keinen weiteren wertenden Kommentar mehr abgeben sollte.
„Und du weißt schon, wen du heiraten sollst?“, fragte ich
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