Entzweit : Vereint (ambi : polar) (German Edition)
wieder sehr nüchtern. „Du hast wohl nichts übrig für die Liebe?“, rutschte es mir unbedacht heraus.
David warf mir einen undefinierbaren Blick zu. „Die Liebe verkompliziert so einiges. Ich habe schon genug Komplexität in meinem Leben.“
„Hmm. Andere sagen, ohne sie wäre es nicht Wert , zu leben.“
„Das können nur Poeten sein . In meinem Leben hat Poesie keinen Platz.“ Davids Stimme klang dumpf, als er das sagte.
Ich nickte langsam. „In meinem wohl auch nicht.“ David musterte mich seltsam unschlüssig, als würde er dem widersprechen wollen, doch schließlich blieb er stumm.
Ich seufzte auf. Das Thema war zu deprimierend für mich. „Tja, dann sind wir doch irgendwie quitt, oder? Ich kann frei über mein Leben bestimmen, ohne dass mir irgendeiner reinredet, aber dafür steht auf deiner Habenseite, dass du dich nicht ein Leben lang versteckt halten musst. Du hast immerhin die Chance, mit jemand anderem glücklich zu werden, was mir auf ewig verwehrt bleiben wird, weil ich Gefahr laufe, den Menschen, den ich vertraulich berühre, ungewollt schachmatt zu setzen.“
David holte tief Luft und zog eine unwillige Grimasse. „Wir können beide nichts dafür, wie wir geboren wurden, Josephine, aber auch wenn es so etwas wie ein vorgegebenes Schicksal gibt, heißt das nicht, dass wir es nicht beeinflussen könnten. Das würde gegen die Philosophie meines Volkes sprechen, die besagt, dass wir Erschaffer unserer eigenen Realität sind. Jeder hat in seinem Rahmen die Möglichkeit, das Beste aus seiner Situation zu machen. Ich habe sie und du hast sie genauso. Wenn du ein geruhsames, unauffälliges Leben unter Menschen willst, dann wirst du es bekommen. Und du wirst auch mit einem Partner zusammenleben und glücklich werden können, wenn du es willst. Du entscheidest letztendlich über den Verlauf deines Schicksals.“
„Der Verlauf meines Schicksals hat mich zu dir geführt, ohne dass ich es bewusst entschieden hätte. Also was ist daran selbstbestimmt?“
David schwieg. Dem konnte er wohl auch nichts entgegen setzen. Es hieß doch immer, man könn te seinem Schicksal nicht davonlaufen? Warum sollte ich mir also Hoffnung auf ein normales Leben machen? Seit Freitag wusste ich, dass es das für mich nie geben würde.
Im Grunde hatte ich es schon immer gewusst, deswegen hatte ich mich stets von allen abgesondert. Aus Selbstschutz oder vielleicht auch zum Schutz der anderen. Wie man es auch drehte und wendete, ich war von Geburt an als ein absonderliches Geschöpf abgestempelt, das nicht in diese Welt gehörte. Was sollte ich an diesem Schicksal schon ändern?
Ich seufzte erneut frustriert. „Ich könnte dieses Schicksal halbwegs ertragen, wenn du mir diesen Tee abnehmen würdest und mir dafür eine Tasse Kaffee gibst.“
David drehte sich kommentarlos um und schenkte Kaffee in eine Tasse ein. Langsam kam er auf mich zu und hielt mir den Kaffeebecher hin. Ich nahm ihn mit der freien Hand entgegen, in der anderen hielt ich immer noch die Teetasse fest. Beim Erfassen des Bechers berührten sich unsere Finger und für einen klitzekleinen Moment verharrten wir beide in dieser Position. Dann zog David seine Hand zurück, blieb aber dicht vor mir stehen und sah mich unverwandt an. Ich hielt unwillkürlich die Luft an.
„Du bist ein Wunder, Josephine. Deine ganze Existenz ist ein Wunder.“ Sein Blick fuhr durchdringend über mich hinweg, so wie damals, als er mich in dem Kleid von oben bis unten gemustert hatte, und hinterließ eine heiße Spur auf meinem Körper, wie wenn er mich tatsächlich berührt hätte.
E in Kribbeln fuhr durch meinen Körper und ich musste mich bemühen, die angehaltene Luft möglichst unauffällig auszuatmen und ruhig weiter zu atmen, doch in meinem Inneren tobte ein Sturm an unerklärlichen Gefühlen. Ich verfolgte, wie sein Blick gemächlich über mein Gesicht wanderte, einen Moment an meinem Mund hängen blieb und über mein wirr gelocktes Haar fuhr, um sich dann wieder auf meine Augen zu heften. Sein Blick war so intensiv, dass es mir eigentlich eine Warnung hätte sein sollen, doch ich konnte meine Augen nicht von seinen abwenden. Seine samtene Stimme drang sanft in mich hinein. „Ich möchte, dass dieses Wunder erhalten bleibt. Wahrscheinlich spricht da der neugierige Mediziner in mir, der fasziniert ist von deiner wundersamen Existenz und deswegen nicht möchte, dass sie zerstört wird. Ich widersetze mich damit dem Willen meiner Familie und des Rates und tue zum
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