Entzweit : Vereint (ambi : polar) (German Edition)
dazu, dass du dann doch noch Medizin studieren konntest?“
David fuhr sich nachdenklich über sein Kinn. „Ich habe mein Jurastudium durchgezogen, so wie es mein Vater sich gewünscht hatte, und als ich meinen Abschluss hatte, hat mein Vater mich überraschenderweise nach Australien geschickt, um dort die Aufgaben des Rats zu erfüllen. Jedoch sollte ich dort inkognito sein. Er gab mir keinerlei Vorgaben, wie ich zu leben hatte, was eigentlich sehr außergewöhnlich war. Aber ich ergriff ohne lange nachzufragen diese unerhoffte Gelegenheit und schrieb mich an der Uni zum Medizinstudium ein. Es war die beste Zeit meines Lebens.“ Über sein Gesicht fuhr ein seliges Lächeln. Seine Augen waren in die Ferne gerichtet, als befände er sich in einer anderen Welt. Dann schüttelte er den Kopf und seine Mimik wurde wieder abweisend. „Aber ich hätte wissen müssen, dass mein Vater mich nicht grundlos einfach so mein eigenes Leben führen ließ. Mein Vater tut nie irgendetwas ohne strategisches Kalkül. Er hat mich nur gewähren lassen, weil es ihm in seine eigenen Pläne gepasst hat. Und ich war so naiv gewesen zu glauben, ich hätte eine Chance, ein eigenes Leben aufzubauen. Wie dumm ich gewesen war.“ David schüttelte missbilligend den Kopf über sich selbst.
Ich konnte mir nicht vorstellen, dass David jemals naiv gewesen war. Wahrscheinlich hatte er eine andere Definition von naiv als ic h. „Was ist passiert?“
David sah mich unschlüssig an, dann stieß er frustriert die Luft aus. „Er zitierte mich nach Paris. Von einem Tag auf den anderen. Er meinte nur lapidar, mein Bohème-Leben sei vorbei, ich hätte mich lange genug austoben dürfen, jetzt müsste ich Verantwortung übernehmen, der Bestimmung meiner Familie folgen. Ich musste alles stehen und liegen lassen, meinen Traum, als Arzt tätig zu sein, begraben, mein ganzes Leben dort einfach ablegen wie einen alten Mantel und mich unter die Fuchtel meines Vaters begeben. Er präsentierte mich in Paris wie einen Heilsbringer aus der Wundertüte, gab mir meinen neuen Job in der Menschenwelt und übertrug mir die Verantwortung einiger wichtiger Aufgaben für den Rat.“ Er zuckte mit den Schultern, wie um damit sein Schicksal zu besiegeln.
Ich musterte ihn skeptisch. Diese Ergebenheit passte so gar nicht zu meinem Bild von David. „Wieso hast du dich den Wünschen deines Vaters gebeugt, wo dir dein Leben in Australien so viel bedeutet hat?“
David zuckte erneut mit den Schultern, als wäre das selbsterklärend. „Ich hatte keine Wahl. Das ist mein Erbe. Ich habe meine Familie zu unterstützen.“
Sein gleichmütiger Tonfall irritierte mich. „Du hast nicht für deine Träume gekämpft?“
Davids Blick wurde hart. „Was die Stellung meiner Familie im Rat betrifft, gab es für mich nie wirklich eine Wahlmöglichkeit. Ich wurde dazu erzogen, diese Aufgaben zu übernehmen. Im Grunde wusste ich es von klein auf. Wir gesagt, es war naiv von mir zu glauben, ich könnte dem entgehen. Die Aufgabe meiner Familie und damit auch meine ist es, für Recht und Ordnung zu sorgen. Das ist seit Jahrtausenden so und mit dieser Familientradition wird ganz bestimmt nicht wegen mir gebrochen. Es ist meine Bestimmung.“ Es klang zynisch, gleichzeitig aber auch unterwürfig und gleichmütig und das brachte mich irgendwie auf die Palme.
„So ein Quatsch“, rief ich aufgebracht aus. „Mir erzählst du was , von wegen ich könnte selbst über mein Schicksal bestimmen, und du selbst steckst den Kopf in den Sand und nimmst hin, dass andere über dein Leben bestimmen? Wie verquer ist das denn?“
Zu meiner Überraschung ließ David sich von meinem Unmut nicht reizen. Er seufzte nur ergeben auf. „Das ist nicht verquer. Im Gegensatz zu mir hast du eine Chance auf ein selbstbestimmtes Leben.“
Ich sta rrte ihn unverständlich an. „Du beneidest MICH, das monströse Mischwesen, das gar nicht existieren dürfte und dem dein Volk den Tod wünscht, darum, meine eigenen Entscheidungen treffen zu können? Darüber welchem monströsen Impuls meines Wesens ich nachgebe, oder was? David, das ist verquer!“
David zuckte mit den Schultern. „Nenn es wie du willst, aber es entspricht der Wahrheit. Ich beneide dich dafür, deinen eigenen Weg gehen zu dürfen.“
Ich schüttelte missbilligend den Kopf. „Ich finde, du machst es dir da ziemlich einfach. Dich rauszureden, du könntest ja nicht anders, weil deine Familie über dich bestimmt. Das klingt ganz nach mittelalterlichen
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