Envy-[Neid]
wieder bei ihm zu sein.
Anfänglich hatten brennende Schuldgefühle sie beherrscht. Sie war verheiratet. Sie war vor dem Traualtar eine Verpflichtung eingegangen, die in ihren Augen ein Versprechen auf Lebenszeit darstellte. Sie hatte sämtliche Ehegelübde ernst genommen.
Aber offensichtlich war sie die Einzige gewesen, die an jenem Tag mit dieser Einstellung vor dem Altar gestanden hatte. Noah hatte seine Gelübde gebrochen. Womöglich war Nadia nicht die Erste, mit der er sie betrogen hatte. Vor seiner Ehe hatte es ihm an Freundinnen sicher nicht gemangelt. Möglicherweise hatte er mit dem Schritt vom Junggesellen zum verheirateten Mann sein Verhaltensmuster unverändert beibehalten. Er hatte sich absichtlich dazu entschieden, sie zu betrügen. Genauso absichtlich, wie sie nun diese Ehe beenden würde. Er hatte sich eine Geliebte genommen und dadurch das Recht und das Privileg verwirkt, ihr Ehemann zu sein.
Allerdings hätte sie ihn auch verlassen, wenn sie ihn nicht mit Nadia ertappt hätte. In jener Nacht auf dem Gehsteig in Chelsea hatte Noah eine Seite seines Charakters gezeigt, die sie entsetzte, anwiderte und ihr Angst einjagte. Keinen Tag länger würde sie mit einem Mann zusammenleben, der unterschwellig so wirksam den Gewalttätigen mimte, dass sie ihm diesen Zug auch glaubte. Ihre Ehe war vorbei. Noah Reed war Vergangenheit.
Nun musste sie unbedingt herausfinden, ob Parker Evans ihre Zukunft war.
Sie fühlte sich zu ihm hingezogen. Das konnte sie nicht länger ignorieren oder leugnen. Sie hatte versucht, sich einzureden, lediglich sein Intellekt und sein Talent reizten sie. Aber dem war nicht so. Er zog sie an, als Mann. Unzählige Male hatte sie ihn in ihrer Fantasie wieder geküsst, hatte seine Hände gespürt und ihren Mund über seinen Körper wandern lassen.
Sie wusste nicht einmal, ob er im Stande war, im üblichen Sinne mit ihr zu schlafen. Aber auch das war egal. Sie wollte nur eines: ihn berühren und von ihm berührt werden. Ganz nah wollte sie ihm sein, egal wie und wodurch.
Als Verheiratete hätte sie diese Lust nie ausgelebt. Nie hatte sie während ihrer Verlobungszeit und während der Ehe einen anderen Mann angeschaut oder an ihn in sexueller Hinsicht gedacht. Deshalb hatte sie ihr spontanes Hingezogensein zu Parker noch mehr verstört.
Auf dem Rückflug nach New York hatte sie sich eingeredet, an dieser romantischen Sehnsucht sei einzig und allein die Insel schuld. Kaum wäre sie wieder auf vertrautem Territorium, sei damit Schluss. Als ihr Flugzeug in LaGuardia landete, war sie überzeugt, die Kluft zwischen ihr und Noah überbrücken zu können. Die vorübergehende Flaute in ihrer Ehe hatte sie für abstruse Tagträume empfänglich gemacht, die in dem Moment verschwänden, in dem ihre schlummernde Leidenschaft wieder erwachte.
Sie hatte sich so lange gut zugeredet, bis sie daran glaubte, mit ein bisschen Fantasie ihrerseits ihr Liebesleben wiederbeleben zu können. Dann würde sie von neuem, wie damals, als sie an Noahs Arm als seine Braut die Kirche verlassen hatte, jene überschwängliche Freude und Begeisterung empfinden.
Was für eine naive Strategie war das gewesen! Mittlerweile machte es sie wütend, dass sie bereitwillig angenommen hatte, sie allein sei für die Sackgasse verantwortlich, in die ihre Ehe geraten war. Wie hatte sie nur so leichtgläubig sein können? Wussten denn alle über Noahs Affäre Bescheid, nur sie nicht? Die Leute, mit denen sie tagtäglich arbeiteten – hatten sie es gewusst? War sie eine tragikomische Gestalt, die Ehefrau, die es zuletzt erfuhr? Arme Maris, musste die Belegschaft gedacht haben, plagt sich im Verlag ab, während sich ihr Mann regelmäßig zum verbotenen Stelldichein zu seiner Geliebten davonstiehlt.
Noah hatte unter den Mitarbeitern Gegner, aber auch Verbündete, Leute, die er von seinem ehemaligen Verleger abgeworben hatte. Sich von ihm scheiden zu lassen, würde vergleichsweise einfach sein. Schwierig wäre es, ihn aus dem Verbund, den Matherly Press darstellte, zu lösen.
Damit stand sie vor der nächsten Hürde, der sie sich stellen musste: Daniel über ihre Trennung zu informieren.
Das würde sie möglichst lange hinausschieben. Ihn würde es doppelt treffen. Er würde nicht nur seinen Schwiegersohn verlieren, sondern auch seinen Protegé. Obwohl Maris darauf vertraute, dass ihr Vater stark genug war, damit genauso fertig zu werden wie mit allen anderen Rückschlägen und Enttäuschungen seines Lebens, sah sie keinen Sinn
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