Envy-[Neid]
arbeiten? Und warum betrinkst du dich am helllichten Nachmittag?«
»Gibt’s ’nen besseren Zeitpunkt? Außerdem waren alle großen Schriftsteller Säufer. Wusstest du das nicht? Ich wette, Homer hat im alten Griechenland eine Art Anonyme Alkoholiker aufgesucht. Von Edgar Allan Poe über Fitzgerald bis zu…«
»Parker, warum machst du das?«
»Warum bist du zurückgekommen?«, fuhr er sie seinerseits an.
»Ich habe dich zuerst gefragt.«
»Weil ich keines der Narkotika mehr habe, die ich früher immer genommen habe, und große Mühe hätte, mich am Kronleuchter aufzuhängen.«
»Das ist nicht komisch.«
»War auch nicht so gemeint.«
»Du hast gleich zweimal von Selbstmord gesprochen. Das ist beleidigend und taktlos. Besonders heute. Erst letzte Woche hat sich ein guter Freund von mir das Hirn aus dem Schädel gepustet.«
Hier endete ihr Wortwechsel. Parker wandte den Kopf ab. Eine Weile sagte keiner ein Wort. Maris trank langsam ihren Bourbon aus und stellte dann das leere Glas wieder aufs Sideboard.
Schließlich sagte Parker: »Mike ist mit der Kaminummantelung fertig.«
»Habe ich bemerkt. Sie ist wunderschön.« Sie ging hinüber und strich mit den Fingerspitzen über die matt glänzende Holzoberfläche. »Das hat er ganz exzellent gemacht.«
»Denk daran, es ihm zu sagen.«
»Werde ich.«
»Wer war dein Freund?«
Sie wandte sich wieder ihm zu. »Unser Chefjustitiar. Ich habe ihn mein ganzes Leben gekannt. Für mich war er wie ein Onkel.«
»Tut mir Leid.«
»Für ihn war es vorbei, bevor er etwas gespürt hat. Für die Leute, die ihn gern hatten, war es nicht so leicht. Sie werden den Schmerz noch lange spüren.«
»Probleme?«
»Nicht, soweit man weiß.«
»Warum hat er’s dann getan?«
»Das bleibt ein Geheimnis.« Dann sagte sie nachträglich , zum Kamin gewandt: »Noah hatte an jenem Nachmittag einen Termin mit ihm.«
»Hatte er keine Veränderung bemerkt?«
»Nein, nichts.«
»Worum ging es dabei?«
»Normale Geschäftsangelegenheiten. Warum?«
»War nur so ’ne Frage.«
Erneut schaute sie ihn an. »Warum?«
Statt einer Antwort fragte er sie, ob sie noch einen Drink wolle.
»Nein, danke schön. Mir kribbelt es schon in den Zehen.«
Rasch warf er einen Blick auf ihre Schuhe. »Du bist für New York gekleidet. Warum ziehst du dich nicht um? Dann kannst du den Abschnitt lesen, an dem ich seit deiner Abreise gearbeitet habe.«
Sie lächelte überrascht. »Also hast du doch geschrieben?«
»Mike denkt nur, dass er alles weiß.«
»Das hätte nicht besser laufen können. Wir können frei sprechen.« Noahs gespielte Lässigkeit widersprach seinen wahren Empfindungen. Um seinen Besucher noch mehr zu überzeugen, wie unbekümmert er war, drehte er träge das Olivenspießchen in seinem Martiniglas herum. »Maris ist wieder einmal nicht in der Stadt.«
»Ist das normal?«
Morris Blume war mit seiner typischen herablassenden Attitüde, die er wie ein Accessoire trug, in die Reedsche Eigentumswohnung an der West Side gekommen. Noah hatte auf einem informellen Treffen unter vier Augen bestanden, ohne Blumes Lakaien, die sich wie Kolibris an einer tropischen Blume benahmen und stets in der Nähe blieben, wenn sie sie gerade mal nicht direkt umschwirrten.
Noah hatte seinem Portier ein maßlos übertriebenes Trinkgeld gegeben, damit er Blume einließ und sich später garantiert nicht mehr daran erinnerte. Als Blume aus dem Lift stieg, hatte er ihn bereits gastfreundlich erwartet. Blume war energisch in die Wohnung marschiert und hatte sie prüfend gemustert wie ein Feldwebel eine Baracke. Seine farblosen Augen schienen nach Fehlern förmlich zu suchen. Offensichtlich gab es nichts auszusetzen. »Sehr nett.«
Noah schrieb die geschmackvolle Einrichtung Maris zu.
»Für solche Dinge hat sie einen Blick. Etwas zu trinken?« Mittlerweile saßen sie einander auf zwei Sofas gegenüber, Martinigläser von Tiffany in den Händen. Und wieder fiel Maris’ Name. »Sie verreist häufig, nicht wahr?«, fragte Blume.
»Erst seit kurzem. Seit sie an einem Projekt arbeitet, dessen Autor auf einer Insel vor der Küste von Georgia lebt.«
»Sind Sie sich dessen sicher?«
Da Noah in jüngster Zeit das Gefühl haben musste, Ehefrau und Geliebte seien ein wenig seiner Kontrolle entglitten, schmerzte Blumes Anspielung. »Wessen?«, fragte er gereizt. »Der Aufenthaltsorte meiner Frau?«
Blume verzog seine farblosen Lippen zu dem für ihn typischen aufgesetzten Lächeln. »Ich kannte einen Mann,
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