Envy-[Neid]
inoffizielles Nachrichtenblatt für Klatsch und Tratsch im Städtchen diente. Die Station befasste sich mit kleineren Notfällen wie liegengebliebenen Schneepflügen und vermissten Haustieren, stellte Strafzettel für falsches Parken aus, wenn durchreisende Touristen wieder einmal zu lange in Antiquitätenläden stöberten, und sanktionierte hin und wieder auch alkoholisierte Autofahrer.
Im Vergleich zu Großstädten wurde über nichts sonderlich Skandalöses geklatscht. Eventuell ging es darum, wer kürzlich zum Liften nach New York gefahren war, wer gerade sein Landhaus einem Filmstar verkaufte, der vergeblich anonym bleiben wollte, und wer nach einer heftigen innerfamiliären Debatte seine durchgeknallte Tochter zum Drogenentzug gebracht hatte. Die Bürger konnten getrost ihre Häuser und Autos unversperrt lassen. Diebstähle kamen nur selten vor.
Der letzte Mordfall in diesem Bezirk hatte sich während der Amtszeit von Lyndon B. Johnson ereignet. Ein Fall, der im Handumdrehen abgeschlossen wurde. Als die Polizei am Tatort eintraf, hatte der Schuldige den Mord gestanden.
Die Polizeistation hatte nicht viel Erfahrung im Lösen von Kriminalfällen. Und das wirkte sich zu Maris’ Ungunsten aus. Günstig erwies sich dagegen die Tatsache, dass eine Mordermittlung mehr Begeisterung weckte, als verlorene Kätzchen zu Protokoll zu nehmen oder überdachte Zuschauertribünen für Konzert und Feuerwerk am Nationalfeiertag aufzubauen.
Mit dem ehrgeizigen Wunsch, den ruchlosen Mörder eines geschätzten Mitbürgers – auch wenn er nur übers Wochenende hier war – auszuspionieren, hatten sich die Polizisten in die Ermittlungen zu Daniels Tod gestürzt.
Maris und Noah fuhren in getrennten Wagen hinauf. Von außen erinnerte das mit Efeu bewachsene Gebäude eher an eine Handarbeitsboutique als an eine Polizeistation. Maris traf einige Minuten vor Noah ein. Kaum war auch er da, bat man sie ins Büro des Dienststellenleiters. Beide lehnten das Angebot von Kaffee und Gebäck aus der lokalen Bäckerei dankend ab. Da Polizeichef Randall, ein Mann mit rotem Gesicht und schütteren, quer über den Kopf gekämmten Haarsträhnen , ihren Wunsch spürte, zum Kern der Angelegenheit zu kommen, beschränkte er die Höflichkeiten auf ein Minimum und nahm hinter seinem Schreibtisch Platz. Der Bericht über das Ermittlungsergebnis seiner Station schien ihn eher zu enttäuschen als zu erleichtern.
»Bedauerlicherweise, Mrs. Matherly-Reed, kann ich Ihnen nicht viel mehr als den Inhalt des ersten Berichts mitteilen. Meine Leute haben das Haus äußerst sorgfältig durchkämmt. Fanden aber keinerlei Hinweise auf Mord.«
Aus dem Augenwinkel beobachtete sie, wie Noah selbstzufrieden die Hände im Schoß verschränkte.
»Die Polizisten glauben, und darin stimme ich ihnen zu, dass Ihr Vater schlicht und einfach die Treppe heruntergefallen ist. An der Stelle, wo man ihn fand, waren einige Blutflecken auf dem Boden, die aber von der Platzwunde an seinem Schädel herrührten. Diese hat er sich beim Aufprall auf dem Boden zugezogen.«
Sie schluckte heftig, dann fragte sie: »Und was ist mit dem Obduktionsbefund?«
Er schlug die Akte auf und schob sich eine Lesebrille auf die Nase, die für sein breites Gesicht viel zu schmal war. Die Bügel waren ausgeleiert, deshalb saßen ihm die Gläser schief im Gesicht. »Der Inhalt seines Magens bestätigt, dass er wenige Minuten vor seinem Tod etwas gegessen hat, wie Mr. Reed bereits vermutet hat.« Er musterte Noah über den Brillenrand.
Noah nickte ernst. »Als ich in die Küche ging, um den Notdienst anzurufen, lag im Spülbecken schmutziges Geschirr. Da ich nach dem Abendessen aufgeräumt habe, dachte ich mir, Daniel sei heruntergegangen, um etwas zu essen. Auf dem Rückweg ist er dann gestürzt.«
»Wurde diese Szene möglicherweise getürkt, Chief Randall?«
»Getürkt?«
»Vielleicht hat man das Geschirr ins Spülbecken gelegt, damit alle denken sollten, Pa hätte es benutzt.«
»Oh, benutzt hat er es«, versicherte ihr Chief Randall.
»Seine Fingerabdrücke waren darauf. Sonst keine.«
»Das Geschirr hätte man auch im ersten Stock benutzen können. Er aß oft im Bett, vom Tablett. Woher wissen wir, dass er unten war?«
»Krümel.«
»Bitte?«
»Brotkrümel auf seinem Bademantel, seinen Pantoffeln und auf dem Boden neben der Spüle. Ich vermute mal, er stand am Küchenfenster und schaute hinaus, während er sein Sandwich aß.«
Er tätschelte seine Haarsträhnen, als wollte er sich
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