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Envy-[Neid]

Envy-[Neid]

Titel: Envy-[Neid] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Brown
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Todesfall in der Familie viel Zeit kostete, besonders wenn der Verstorbene eine gesellschaftliche Stellung wie Daniel Matherly gehabt hatte. Er war der letzte Patriarch einer Verlegerdynastie, ein echter Sohn New Yorks. Sein Nachruf stand auf der Titelseite der New York Times. Lokalsender berichteten über sein Begräbnis.
    Mit dem eisernen Willen, nicht am Druck zu zerbrechen, ließ Maris diesen langen Tag über sich ergehen. Man fotografierte die von Kopf bis Fuß in Schwarz Gekleidete beim Betreten der Kathedrale, beim Verlassen derselben, mit gesenktem Kopf im stillen Gebet am offenen Grab, mit dem kondolierenden Bürgermeister.
    Die stummen Trauerbezeugungen schätzte sie am meisten: ein kleiner Händedruck, ein Blick, der Mitgefühl und Verständnis ausdrückte. Die meisten redeten zu viel. Sie meinten es ja gut, wenn sie sie damit trösten wollten, dass Daniel ein langes und produktives Leben gehabt habe. Dass er vor seinem Tod nicht hatte leiden müssen. Dass wir uns alle glücklich schätzen sollten, wenn wir so rasch gehen könnten. Dass er wenigstens nicht dahingesiecht und langsam gestorben sei. Dass ein plötzlicher Tod ein Segen sei.
    Derartige Aussagen setzten ihr schmerzlich zu.
    Trotzdem überraschte und verletzte sie niemand mehr als Nadia Schuller. Während sich Noah mit einer Gruppe Kollegen aus dem Verlag unterhielt, schlich sich Nadia unmittelbar nach der Andacht am offenen Grab an Maris heran und packte ihre Hand. »Es tut mir ja so Leid, Maris. So entsetzlich Leid.«
    Maris war tief getroffen. Nicht nur weil Nadia die Kühnheit besessen hatte, beim Gottesdienst zu erscheinen, sondern auch von ihrem überzeugend gespieltem, schockierten Trauern. Mit einem kalten Dankeschön zog Maris die Hand zurück und versuchte, sich abzuwenden, aber Nadia ließ sich nicht abschütteln. »Wir müssen uns unbedingt unterhalten. Bald.«
    »Falls Sie ein Zitat für Ihre Kolumne brauchen, rufen Sie unsere Presseabteilung an.«
    »Bitte, Maris«, sagte Nadia und beugte sich noch dichter zu ihr, »es ist wichtig. Rufen Sie mich an.« Sie drückte Maris eine Visitenkarte in die Hand, ehe sie sich umdrehte und rasch entfernte. Sie besaß den Anstand, Noah vorher nicht anzusehen.
    Er war der schlimmste Teil ihrer Belastungsprobe.
    Jedes Mal, wenn er in ihre Nähe kam, versuchte sie, nicht sichtlich zusammenzuzucken. Und doch schien er entschlossen zu sein, sich in ihrer Nähe aufzuhalten. Auf dem Empfang im Anschluss an das Begräbnis wich er nie weit von ihrer Seite. Oft legte er ihr den Arm um die Schultern, drückte ihre Hand und demonstrierte mit extremer Falschheit vor ihren Freunden und Kollegen liebevolle Zuneigung. Wenn sein Verhalten nicht so obszön gewesen wäre, hätte sie darüber lachen mögen.
    Die Dämmerung brach bereits an, ehe der letzte Gast im Haus ging. Entgegen Maris’ Vorschlag weigerte sich Maxine, sich in ihrem Zimmer auszuruhen, und begann stattdessen, das Abräumen und Saubermachen durch den Caterer zu überwachen. Daraufhin wandte sich Maris an Noah. »Ich möchte mit dir reden.«
    »Gewiss, Liebling.«
    Seine Schöntuerei brachte sie in Rage. Er widerte sie an, durch und durch. Irgendwie schien eine andere Frau in einer anderen Zeit zwei Jahre lang mit ihm ein Zuhause und ein Bett geteilt zu haben. Ihr war es inzwischen ein Rätsel.
    Das Einzige, was sie damit versöhnte, ihre einzige vernünftige Entschuldigung, war die Tatsache, dass er ein exzellenter Schauspieler war, ein geschickter Lügner. Sie und Daniel waren auf ein von ihm perfektioniertes Theater hereingefallen.
    »Noah, du brauchst dich nicht mehr zu verstellen. Außer Maxine ist niemand mehr da, und sie weiß bereits, dass ich dich verlassen habe.«
    Sie brachte ihn ins Arbeitszimmer ihres Vaters. Der Raum roch nach ihm und seinem Pfeifentabak, nach seinem Cognac und seinen geliebten Büchern. Alles hier rief derart schmerzliche Erinnerungen in ihr wach, dass sie sich gleichzeitig eingesperrt und getröstet fühlte.
    Sie setzte sich in den großen gepolsterten Ledersessel hinter Daniels Schreibtisch, was einer Umarmung durch ihn am nächsten kam. Schon die letzten vier Nächte hatte sie zusammengekauert in diesem Sessel verbracht und zwischen kurzen unruhigen Schlafperioden geweint. Sie hatte geträumt, Daniel würde sich immer weiter von ihr entfernen, obwohl sie seinen Namen schrie. Stets befand er sich außerhalb ihrer Reichweite, egal, wie verzweifelt sie auch versuchte, ihn zu berühren. Dann erwachte sie an ihrem

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