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Envy-[Neid]

Envy-[Neid]

Titel: Envy-[Neid] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Brown
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gemein ausfielen, allein das Anhören war schon Erleichterung. Dieser Druck vorab war die Hölle.
    »Ein süßes Brötchen, Roark?«
    Er blickte auf und sah die Hausmutter neben seinem Stuhl stehen. »Klar, Mom, danke.«
    Kurz nach seinem Gelöbnis hatte Roark die Hausmutter der Verbindung zur Frau mit der längsten Leidenszeit auf Erden ernannt. Mrs. Brenda Thompson hatte freiwillig eine friedliche Witwenschaft aufgegeben, und war in ein dreistöckiges Haus mit zweiundachtzig Männern gezogen, die sich wie jugendliche Straftäter aufführten, die man für neun Monate in ein Sommerlager gesteckt hatte.
    Sie respektierten gar nichts, weder Personen noch Eigentum. Nichts war ihnen heilig: weder Gott noch Vaterland, keine Heimatstadt, kein Haustier, keine Schwester, keine Mutter. Die Jagd war auf alles eröffnet, was einem Individuum lieb und teuer war. Alles wurde mit derben Bemerkungen lächerlich gemacht.
    Sie hatten den Anstand von Schweinen. Wie es der männliche homo sapiens zu tun pflegt, wenn er sich zu Gruppen von zwei oder mehr zusammenrottet, hatten sich diese Zweiundachtzig auf das Niveau von Höhlenmenschen zurückentwickelt; verglichen mit ihnen waren die Neandertaler kultivierte Wesen. Alles, was ihnen ihre Mütter daheim verboten hatten, taten sie im Verbindungshaus. Mit genüsslicher Inbrunst zelebrierten sie rüdes Benehmen.
    Mrs. Thompson, eine würdevolle Dame mit sanfter Stimme, tolerierte ihre üblen Schimpfwörter und ihre noch übleren persönlichen Gewohnheiten. Ihre mütterliche Natur erweckte ihr Zutrauen und gewann ihre Zuneigung. Doch im Gegensatz zu ihren Eltern griff sie nicht auf Disziplinierung zurück.
    Sie stellte sich blind für die Saufgelage, Flüche und Affären, denen sie sich mit Hingabe widmeten. Ihre Lautsprecher konnten sie klaglos nach Belieben aufdrehen und ein ganzes Semester lang in derselben ungewaschenen Bettwäsche schlafen. Als sie einer Katze, die einem Mädchen gehörte, das einem ihrer Kommilitonen den Laufpass gegeben hatte, das Verbindungssignet in den Pelz schoren, bemerkte Mom lediglich, wie hübsch sie die Buchstaben aufgereiht hätten.
    Mit einem pflichtschuldigen und äußerst fraglichen »Pardon, Mom« entschuldigten sie sich in ihrer Gegenwart für Kraftausdrücke, Rülpser und Fürze. Besonders am Mittwochabend, während der einzigen formellen Mahlzeit der Woche, bei der Sakkos, Krawatten und ein Minimum an zivilisiertem Benehmen Pflicht waren. Stets gewährte sie dem Rüpel mit einem geduldigen kleinen Lächeln Absolution, obwohl binnen Sekunden schon das nächste Delikt drohte.
    In ihr hatten sie die Traummom.
    Roark vermutete, irgendwie ihr Liebling zu sein, obwohl er sich keinen Grund dafür vorstellen konnte. Sein Benehmen war genauso ungehobelt und schlecht wie das aller anderen. Nach einer Toga-Party im zweiten Studienjahr war er unter dem Stutzflügel im unteren Salon umgekippt und erst wieder aufgewacht, als er sich an Erbrochenem verschluckte, das nach Jack Daniels stank.
    Da tauchte Mrs. Thompson in einem langen Flanellbademantel und Pantoffeln auf, tätschelte ihm die Schulter und erkundigte sich, ob alles in Ordnung sei.
    »Mir geht’s gut«, nuschelte er, obwohl eindeutig das Gegenteil zutraf.
    Ohne den geringsten Tadel zog sie würdevoll wie eine Nonne die Decke von einer aufblasbaren Puppe, die jemand über das anatomisch obszöne, inoffizielle Hausmaskottchen geworfen hatte, brachte sie zu Roark und deckte ihn an Ort und Stelle so zu, wie er war: saukalt, hundeelend und penetrant stinkend.
    Seit jener Nacht schien ihn Mom ganz besonders ins Herz geschlossen zu haben. Vielleicht, weil er sich, als er wieder nüchtern war, bei ihr für die Freundlichkeit bedankt und für die Schlafstörung entschuldigt hatte. Vielleicht auch, weil er den Teppich unter dem Klavier auf eigene Kosten hatte reinigen lassen. Mit Ausnahme von Mrs. Thompson hatte keiner im Haus etwas bemerkt, weder davon, dass er den Teppich verdreckt hatte, noch von der anschließenden Reinigung. Vermutlich zeigten ihr diese kleinen Zugeständnisse an Anstand und Benimm, dass man ihn noch kurieren konnte und er wenigstens einen Hauch Kinderstube besaß.
    »Du bist früher auf als sonst, stimmt’s?«, fragte sie nun, während sie ihm einen mit Marmelade gefüllten Donut auf einem Papierteller neben seine Kaffeetasse stellte.
    Normalerweise servierte sie den Jungs nicht das Essen. Sie bedienten sich selbst wie in einer Cafeteria an der Theke und nahmen sich das Gewünschte aus dem

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