Envy-[Neid]
ständig mit diesen Dingen?
Junge Menschen hatten dazu keine Zeit. Sie grübelten nicht über den Tod, weil sie zu sehr mit dem Leben beschäftigt waren. Mit ihrer Ausbildung. Mit einer Karriere im Beruf ihrer Wahl. Mit dem Beginn oder dem Beenden von Ehen. Mit dem Großziehen von Kindern. Mit Gedanken an den Tod wollten sie sich nicht abgeben.
»Sterblichkeit« war lediglich ein Wort, das so lange ad acta gelegt wurde, bis sie in ferner Zukunft darüber nachdenken konnten. Vielleicht warfen sie ab und zu mit ungutem Gefühl einen flüchtigen Blick darauf, aber dann wurde ihre Aufmerksamkeit hastig wieder auf Dinge gelenkt, die mit Leben zu tun hatten, nicht mit Sterben. Doch die weit entfernte Zukunft rückte unerbittlich näher, bis der Tag kam, an dem man sich das Thema der eigenen Sterblichkeit nicht mehr für später aufsparen konnte. Dann musste man es aus dem Schrank holen und genau untersuchen. Obwohl Daniel das Unvermeidliche nicht trübsinnig fixierte, wusste er doch, dass für ihn der Zeitpunkt gekommen war, diese Tatsache anzugehen und sämtliche daraus resultierenden Folgen zu bedenken.
Die treue Maxine dachte, er schlummere jede Nacht friedlich, was er aber nicht tat. Wenn er Maris erklärte, er schlafe wie ein Baby, hatte sie keinen Grund, daran zu zweifeln. Als junger Mann hatte er pro Nacht nie mehr als vier oder fünf Stunden Schlaf benötigt. Diese Stunden hatten sich im umgekehrten Verhältnis zur Zahl seiner Jahre verringert. Jetzt konnte er mit viel Glück zwei bis drei Stunden schlafen, und das jede Nacht.
Die anderen verbrachte er im Bett mit der Lektüre seiner Lieblingsbücher: Klassiker, die er als kleiner Junge verschlungen hatte, Bestseller, die andere Häuser mit glücklicher Hand Profit bringend verlegt hatten, Bücher, die er selbst herausgegeben und publiziert hatte.
Wenn er gerade nicht las, dachte er über sein Leben nach. Über seine stolzen Momente und fairerweise auch über solche, auf die er nicht stolz war. Häufig dachte er an seinen Freund aus der Prep School, der an Leukämie gestorben war. Wäre er einige Jahrzehnte später geboren worden, hätte man ihn wahrscheinlich behandeln und heilen und ihm ein langes erfülltes Leben ermöglichen können. Bis auf den heutigen Tag vermisste Daniel ihn und sehnte sich nach jenen Jahren der Freundschaft, die man ihnen verweigert hatte.
Er wusste noch ganz genau, wie weh es getan hatte, als er seine erste Liebe an einen anderen Mann verlor. Im Rückblick gab er zu, dass die junge Dame für sie beide richtig gewählt hatte, aber damals hatte er geglaubt, er müsse an gebrochenem Herzen sterben. Nach ihrem Hochzeitstag sah er sie nie wieder. Er hatte gehört, sie sei mit ihrem Mann nach Kalifornien gezogen. Ob sie dort ein glückliches Leben geführt hatte? Ob sie noch lebte?
Seine erste Frau war ein reizender Mensch gewesen. Ihr Tod hatte ihn am Boden zerstört zurückgelassen. Aber dann war er Rosemary begegnet, Maris’ Mutter, und sie war zweifellos die große Liebe seines Lebens geworden. Wunderschön, charmant, kultiviert, künstlerisch begabt und intelligent – eine perfekte Lebensgefährtin und eine heißblütige Geliebte. Sie hatte einen Ehemann unterstützt, der erst spät aus dem Büro nach Hause kam, und durch den Druck, eine Firma zu leiten, oft abgelenkt wurde. Obwohl er ihre Geduld und ihre Hingabe an ihn und ihre Ehe sehr schätzte, war er im Nachhinein überzeugt, ihr dies nicht ausreichend vermittelt zu haben.
Jetzt bedauerte er jede Minute, die ihn seine Verantwortung für Matherly Press von Rosemary fern gehalten hatte. Liebend gerne hätte er sich jene Tage zurückgewünscht. Diesmal würde er sich anders entscheiden. Diesmal würde er neue Prioritäten setzen und seiner Familie mehr Zeit und Energie widmen.
Allerdings, um ehrlich zu sein – wahrscheinlich würde er die gleichen falschen Entscheidungen treffen und erneut die gleichen Fehler machen.
Gott sei Dank musste er nur wenige davon bedauern, obwohl es durchaus einige größere gab. Einmal hatte er sich wegen einer albernen Meinungsverschiedenheit im Groll eines Lektors entledigt, indem er hinterlistig etwas über die Homosexualität des Mannes durchsickern ließ. Und das zu einer Zeit, in der so etwas nicht einmal toleriert wurde, geschweige denn akzeptiert. Er hatte behauptet, das Privatleben des Mannes habe sich auf seine Arbeit ausgewirkt. Eine glatte Lüge. Der Mitarbeiter war ein ausgezeichneter Lektor gewesen, mit untadeliger
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