Envy-[Neid]
Roman liebe.«
»Sie reden von den Figuren, als wären sie echt.«
»Manchmal vergesse ich, dass sie nur Fiktion sind, so fantastisch hat Noah sie gezeichnet. Ab und zu beginne ich sie sogar zu vermissen. Dann schlage ich mein Exemplar auf irgendeiner Seite auf und lese ein paar Absätze. Das ist dann wie ein Besuch bei ihnen.«
»Gab’s denn nicht auch einen Film?«
»Dieser Schund wurde dem Buch nicht gerecht. Aber das hätte meines Erachtens kein Film gekonnt, das muss man den Filmemachern gegenüber fairerweise zugeben. Einige Kritiker haben Vernichtet als den besten historischen Roman seit Vom Winde verweht gepriesen.«
»Hohes Lob.«
»Meiner Ansicht nach verdient.«
»Und was hat er danach geschrieben?«
»Nichts.« Ihre überschäumende Begeisterung schrumpfte merklich. »Noah hat sich bei der Veröffentlichung von Vernichtet sehr engagiert und kam zu dem Schluss, seine wahre Berufung läge auf diesem Gebiet und nicht im Schreiben. Wenn ein Erstlingsroman von Kritik und Lesern so viel Applaus erhält, dann ist der Gedanke, etwas gleich Gutes folgen zu lassen, sehr entmutigend, ja sogar abschreckend. Er hat nie wieder geschrieben. Bis vor kurzem.«
Parkers unverwandter Blick wurde schärfer. »Er schreibt wieder?«
»Er hat sich nur für diesen Zweck ein Büro eingerichtet. Zu meiner großen Freude.«
Allerdings sah sie alles andere als sehr erfreut aus, ja nicht einmal halbwegs. Zwischen ihren Augenbrauen hatte sich eine flache, aber deutliche Falte gebildet. Parker bezweifelte, ob sie sich bewusst war, wie sehr ihre Miene sie entlarvte, denn sonst hätte sie sie besser unter Kontrolle gebracht.
Nach einem Augenblick Ruhe fragte er: »Welche anderen Romanfiguren haben denn in Ihren Träumen eine Schlüsselrolle gespielt?«
»Einige«, gestand sie mit leichtem Lachen, »aber keine im selben Maße wie Sawyer Bennington.«
Parker beugte sich in seinem Stuhl vor und sagte so laut, dass man es gerade noch über den prasselnden Regen hören konnte: »Maris? Besteht die entfernte Möglichkeit, dass Sie sich in die Figur verliebt haben, und nicht in den Autor?«
Wütend verzog sie das Gesicht, aber der Zorn kam und verging blitzartig. Verdrossen lächelte sie. »In Anbetracht der Art, wie ich mich über Sawyer ausgelassen habe, ist das sicher eine faire Frage. Ich hatte schon Autoren, die mir erzählt haben, dass Leser sie häufig mit einer von ihnen frei erfundenen Figur identifiziert haben. Bei Signierstunden mussten sie dann enttäuscht feststellen, dass sie ganz normale Menschen waren, die nicht dem überlebensgroßen Bild entsprachen, das sich der Leser von ihnen gemacht hatte.«
»Guter Diskurs, nur leider keine Antwort auf irgendeine Frage.«
Wieder reagierte sie irritiert. »Machen Sie sich nicht lächerlich. Ich habe mich in meinen Mann verliebt. Zuerst in sein Talent, und dann in den Menschen selbst. Und ich liebe ihn noch immer.«
Einen langen Augenblick starrte er sie an. »Woran hat er gedacht?«
»Wer, Noah?«
Er schüttelte den Kopf. »Der Held des Buches. Sawyer. Sie haben gesagt, als man ihn hängen wollte, habe er gedacht…«
»Oh. Er dachte daran, wie er Charlotte das erste Mal gesehen hatte.«
Sie zögerte, aber Parker bedeutete ihr, fortzufahren.
»Noah hat diese Passage so lebendig und mit so vielen Details beschrieben, dass ich den Obstgarten sehen, die reifenden Früchte riechen und die Hitze spüren konnte. Erinnern Sie sich? Sawyer war schon seit Tagen unterwegs gewesen. Da stößt er auf die Farm von Charlottes Familie, wo er hofft, Wasser für sich und sein Pferd zu bekommen. Niemand ist in der Nähe, alles wirkt verlassen. Aber als er auf den Wassertrog zugeht, entdeckt er Charlotte, die im Schatten eines Pfirsichbaums auf einem Stapel Quilts schläft. Neben ihr schläft ein Baby. Sawyer vermutet, es sei ihres.« Lächelnd fügte Maris leise hinzu: »Zu seiner Freude erfährt er später, dass es sich um ihren kleinen Bruder handelt.«
Die Melodie in ihrer Stimme entzückte Parker. Er spürte förmlich, wie er in die Szene hineingezogen wurde.
»Charlotte ist die schönste Frau, die Sawyer je gesehen hat. Sie hat ihre langen Haare gelöst. Ganze Absätze werden ihren Haaren, ihrer Haut, ihren Lippen gewidmet. Wegen der Hitze hat sie ihr Kleid bis zu den Knien hochgezogen. Außerdem ist sie barfuß. Sawyer ist ein sinnlicher junger Mann. Der Anblick ihrer nackten Wade und ihres Fußes entflammt ihn. Sie hätte ebenso gut nackt sein können. Ihr Busen, der sich im
Weitere Kostenlose Bücher