Envy-[Neid]
Zeitpunkt verreist. Ihre Abwesenheit machte es ihm leichter, Daniel zu manipulieren. Man musste den alten Mann sorgfältig bearbeiten. Das Schlüsselwort hieß – Raffinesse. Wenn man Daniel einfach einen Hieb über den Schädel gab, würde er bis zum letzten Atemzug kämpfen. Ihn konnte man nur durch sachtes, aber nachdrückliches Bearbeiten zu einem Sinneswandel bringen. Vielleicht nicht so leicht wie die meisten Menschen, aber Noah zweifelte nicht an seiner Fähigkeit, nach und nach sämtliche Einwände seines Schwiegervaters gegen eine Fusion abzubauen.
Außerdem gestattete ihm Maris’ Abwesenheit mehr Zeit mit Nadia. Wenn sie unglücklich war, konnte sie zur Furie werden. Und am allerunglücklichsten war sie, wenn man ihr die Zeit und Aufmerksamkeit entzog, die sie für sich beanspruchte.
»Noah, ich kann es nicht erwarten, dass du dieses Buch liest«, sagte Maris, womit sie ihn wieder in ihr Gespräch zog.
Wovon hatte sie die letzten Minuten geredet? Ganz in Gedanken versunken hatte er kein Wort von dem, was sie gesagt hatte, behalten. Allerdings musste er feststellen, dass seine Unaufmerksamkeit keine große Rolle spielte.
»Obwohl mir der Autor noch nicht den ganzen Plot verraten hat«, fuhr sie fort, »glaube ich, dass es gut wird.«
»Wenn du das meinst, dann wird’s das auch. Hör mal, Schatz, ich hasse es, unsere Unterhaltung zu kappen, aber in zwei Minuten muss ich am anderen Flurende sein.«
»Ist das etwas Neues?« Diese Frage war nicht ganz ernst gemeint und auch nicht boshaft. Während der Arbeit blieb ihnen stets nur wenig Zeit für einen Gedankenaustausch.
»Ich habe einen Termin mit Howard, und du weißt ja , wie peinlich genau er auf Pünktlichkeit besteht.« Howard Bancroft war der Chefjustitiar von Matherly Press. »Wenn ich auch nur einen Sekundenbruchteil zu spät komme, ist er tagelang sauer.«
»Worum geht’s denn bei diesem Termin?«
»Auch wenn du mir den Kopf abschlägst, ich kann mich nicht mehr daran erinnern. Hat, glaube ich, irgendwas mit einem unserer ausländischen Lizenznehmer zu tun.«
»Ich will ja nur ungern, dass du’s dir mit Howard verdirbst«, sagte sie, »aber da ist noch etwas, worüber ich unbedingt mit dir sprechen wollte.«
Er musste sich zwingen, damit sie ihm die Ungeduld nicht anhörte. »Dann werde ich mir dafür Zeit nehmen. Was hast du denn auf dem Herzen?«
»Geht es Pa gut?«
»Scheint so. Ich habe ihn gestern Abend gesehen und heute Morgen mit ihm gesprochen.«
»Kam er ins Büro?«
»Nein. Er rief an und hat gefragt, ob ich mich heute ohne ihn durchwursteln könnte. Ich habe ihn beschworen, nicht nur heute frei zu nehmen, sondern auch noch die restliche Woche. Da du nicht hier bist, gibt es keine fixen Termine, die ich nicht allein erledigen kann. Für ihn also ein idealer Zeitpunkt, sich zu schonen.«
»Er wird sich langweilen.«
»Eigentlich hat er einen ziemlich vollen Terminkalender. Vormittags wollte er daheim am Schreibtisch ein paar persönliche Dinge erledigen, und anschließend geht er mit einem alten Bekannten zum Lunch. Sie treffen sich im Four Seasons.«
»Lunch mit einem alten Bekannten«, wiederholte sie geistesabwesend. »Hoffentlich trinkt er nicht zu viel Wein.«
»Maris, es steht ihm doch wirklich zu, zum Lunch ein paar Gläser Wein zu trinken, wenn er das möchte.«
»Ich weiß. Trotzdem mache ich mir Sorgen, wie er zu Hause die Treppe bewältigen will. Bei seinen schwachen Gelenken…«
»Er muss seinen Gleichgewichtssinn voll und ganz beherrschen. Ich verstehe, was du meinst.«
»Wenn sich jemand in seinem Alter beim Sturz einen Hüftknochen bricht, heilt das manchmal nie mehr ganz. Und eines könnte er nicht ertragen: bettlägerig zu sein.«
»Ich werde Maxine bitten, ihn noch besser im Auge zu behalten.«
»Nein! Das wäre der Anfang des Dritten Weltkriegs!«, rief sie laut. »Dann wird er nur böse auf sie, weil sie ihn wie ein Baby behandelt, und anschließend auf mich, weil ich sie darum gebeten habe.«
»Wieder hast du Recht«, sagte er. »Wie wär’s denn, wenn…«
»Was?«
»Nun, ich wollte gerade vorschlagen, dass ich mit ihm darüber rede. Ihn vertraulich zur Vorsicht mahne. Von Mann zu Mann.«
»Ja«, sagte sie, und es klang erleichtert. »Dieser Plan gefällt mir viel besser.«
»Dann werde ich heute Abend rübergehen und mit ihm plaudern.«
»Danke, Noah.«
»Gern geschehen. Noch was?«
»Warum?«
»Howard wartet auf mich.«
»Ach, entschuldige, das habe ich vergessen. Ich hätte dich
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