Enwor 1 - Der wandernde Wald
und prallte mit schmatzendem Geräusch auf den Boden, und an der Wand neben ihm, der Spur der Ungeheuer folgend, rieselte ein Strom von losgerissenem Erdreich und Sand herab.
Seine Hände begannen zu zittern. Sein Körper schien plötzlich Tonnen zu wiegen, und er konnte sich nur noch mit Mühe an dem dünnen, glitschigen Strang halten. Er stöhnte, löste vorsichtig die Finger der Rechten von seinem Halt und begann Hand über Hand hinunterzusteigen. Die Dunkelheit hüllte ihn ein wie eine finstere, erstickende Decke. Die Luft schien mit einem Mal trocken und kalt geworden zu sein und schmerzte in seinen Lungen, und in seinem Mund war der bittere, metallische Geschmack von Überanstrengung und Blut.
Ein leises, schmerzerfülltes Stöhnen drang von unten zu ihm herauf.
»Del?« rief er halblaut. »Bist du… in Ordnung?«
Sekundenlang antworteten ihm nur das Schweigen und das leise, monotone Geräusch rieselnder Erde.
»Ich lebe noch«, sagte Del schließlich. »Jedenfalls glaube ich es. Aber ich hänge fest.«
»Was ist passiert?« fragte Skar erschrocken.
»Meine Schulter«, stöhnte Del. »Ich… kann den Arm nicht bewegen. Es… schmerzt höllisch.«
»Rühr dich nicht«, befahl Skar. »Ich hole dich.« Er kletterte schneller, obwohl seine Rücken- und Schultermuskeln bei jeder Bewegung vor Schmerzen zu zerbrechen schienen. Sein Fuß stieß auf etwas Weiches, Nachgiebiges, und unter ihm erscholl ein wütender Grunzer.
»Kein Grund, mir ins Gesicht zu treten«, murrte Del. Seine Stimme schwankte, und Skar konnte hören, wie schnell und hektisch sein Atem ging. »Beeil dich«, stöhnte er. »Ich… kann mich nicht mehr lange halten. Mein Arm…«
Skar verharrte einen Moment auf der Stelle, um neue Kraft zu schöpfen, tastete mit den Zehenspitzen nach Dels Schulter und schob sich behutsam daran vorbei. »Versuch dich an meiner Schulter festzuhalten«, sagte er, als sie auf gleicher Höhe waren. »Ich trage dich. Es sind nur noch ein paar Meter.«
Del keuchte. Er roch durchdringend nach Schweiß und Blut, und als Skar vorsichtig eine Hand von seinem Halt löste und nach ihm griff, konnte er spüren, daß er am ganzen Leib zitterte.
»Es… geht nicht«, murmelte Del. »Ich… kann mich nicht halten… mein Arm…«
»Du mußt!« sagte Skar. »Halt dich fest, Junge. Es dauert nicht lange. Reiß dich zusammen!«
Sein befehlender Ton schien Erfolg zu haben. Del bewegte sich neben ihm in der Dunkelheit. Seine Hand glitt über Skars Gesicht, suchte mit kleinen, hektischen Bewegungen nach den Schulterriemen von Skars Harnisch und sackte kraftlos zurück.
»… kann nicht«, stöhnte er. »Hilf mir, Skar… ich…«
»In Ordnung«, murmelte Skar. »Dann eben anders. Beiß die Zähne zusammen —wir springen!« Er atmete noch einmal tief ein, schloß die Augen und ließ sich zur Seite fallen. Seine Arme schossen vor und umschlangen Dels Hüfte.
Der Sturz schien endlos zu dauern. Skar war sicher gewesen, sich nicht mehr als vier oder fünf Meter über dem Boden der Höhle zu befinden, aber der schwarze Abgrund, in den sie fielen, schien bodenlos zu sein. Er preßte Del so fest an sich, wie er konnte, zog die Beine an und versuchte, sich auf den bevorstehenden Anprall vorzubereiten, aber die Zeit schien plötzlich träge wie Öl zu fließen und —Ein gigantischer Hammer schlug von unten gegen Skars Füße und versuchte ihm die Beine in den Leib zu rammen, dann traf ihn Dels Gewicht wie der Tritt einer Feuerechse, riß ihm die Arme aus den Gelenken und stauchte sein Rückgrat zusammen. Er fiel hintenüber, kam, durch die Wucht des Aufpralles weitergerissen, noch einmal auf die Füße und stürzte ein zweites Mal. Sein Kopf schlug gegen etwas Weiches, Nachgiebiges. Er rollte weiter, schrammte schmerzhaft mit den Rippen über einen Stein und fiel schwer aufs Gesicht. Dann —endlich — verlor er das Bewußtsein.
Beib liegen«, murmelte eine Stimme. »Bleib liegen und bewege dich nicht. Wir sind in Sicherheit.«
Skar versuchte die Hand zu heben, aber die Bewegung wurde von einem so unerträglichen Schmerz begleitet, daß er es vorzog, lieber still liegenzubleiben und zu tun, was die Stimme befahl. Er blinzelte. Zum dritten Mal in kurzer Zeit erwachte er aus tiefer Bewußtlosigkeit, und zum dritten Mal war Coars Gesicht das erste, was er sah.
»Ihr seid in Sicherheit«, sagte sie noch einmal. »Und wir auch. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen.«
Skar wollte auffahren, aber Coar schob ihn mit sanfter
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