Enwor 1 - Der wandernde Wald
drei Mann mit Bögen oder Armbrüsten reichen, um diesen verdammten Gang gegen eine ganze Armee zu halten.«
»Und was schlägst du vor, daß wir tun sollen?« fragte Coar. Sie schien sich jetzt wieder vollkommen in der Gewalt zu haben. Ihrer Stimme war nichts mehr von dem Schmerz anzumerken, der in ihrem Inneren tobte. Skar wußte nicht, ob er erschrecken oder die Kraft dieser zarten Frau bewundern sollte.
»Wir haben nur zwei Möglichkeiten«, antwortete er irritiert. »Wir können wieder in die Höhle hinuntersteigen und versuchen, einen anderen Weg zur Oberfläche zu finden. Oder wir versuchen, uns den Weg freizukämpfen. Beides wäre Selbstmord. Wir werden nichts davon tun.«
Coar schien verwirrt. »Wie meinst du das?« fragte Bernec verwirrt. »Ich sehe keinen anderen Weg.«
»Hoffentlich denken die, die deine beiden Kameraden umgebracht haben, ebenso«, murmelte Skar. »Wenn sie wirklich irgendwo dort vorne auf uns warten, werden sie früher oder später zurückkommen und nachsehen. Und wir werden sie empfangen.«
»Empfangen?« echote Bernec. »Aber wie…?«
Del grinste flüchtig. »Wir gehen zurück in die Höhle«, sagte er. »Jedenfalls sollen sie das glauben. Skar und ich bleiben hier.«
Bernec verzog mißbilligend die Lippen. »Das ist Wahnsinn«, sagte er. »Sie sehen euch lange, bevor ihr sie seht. Es gibt hier keine Deckung, und…«
»Hier nicht«, unterbrach ihn Skar. »Aber dort draußen.« Er drehte sich um, ging mit raschen Schritten zum Ende des Stollens und deutete auf das Gewirr schwarzer Linien und Striche, das die Höhle durchzog. »Du wirst mit den anderen wieder hinuntersteigen und dich ein Stück weit entfernen. Del und ich warten dort draußen. Wir brauchen das Seil und ein bißchen Glück, mehr nicht.«
Bernec keuchte überrascht. Er schien nur langsam zu begreifen, was Skar vorhatte. »Du bist verrückt!« stieß er hervor. »Ihr werdet dort draußen wie lebende Zielscheiben sitzen. Sie schießen euch herunter, ehe ihr auch nur eine Hand heben könnt.«
»Natürlich«, nickte Skar. »Wenn sie uns sehen, sicher. Aber ich glaube kaum, daß sie nach oben schauen werden.«
»Das ist Wahnsinn«, beharrte Bernec. »Ihr könnt nicht stundenlang an diesem Zeug hängen und warten. Vielleicht… vielleicht kommen sie nie.«
»Sie werden kommen«, sagte Skar überzeugt. »Seshar ist zu vorsichtig, um auch nur das geringste Risiko einzugehen. Er kann nicht riskieren, auch nur einen einzigen von uns hier wegzulassen. Sie werden kommen. Und es wird noch nicht einmal sehr lange dauern.« Im stillen betete er, daß er recht hatte. Es war ebensogut möglich, daß die Mörder darauf vertrauten, daß ihre Opfer ohne Hilfe niemals den rettenden Stollen erreichen und hier unten elend verhungern und verdursten würden. Und es war denkbar, daß sie sich nur geduldig irgendwo dort vorne in der Dunkelheit auf die Lauer legen und einfach abwarten würden. Aber das wagte er gar nicht erst einzukalkulieren. Sie hatten nur diese eine Chance. Zu versuchen, einen anderen Weg zur Oberfläche zu finden, hieße Selbstmord zu begehen.
»Los jetzt«, sagte er. »Es tut mir zwar leid, daß die Anstrengung vergebens war, aber ihr werdet wohl noch einmal hinuntersteigen müssen.«
»Und wie kommt ihr hinab?«
»Gar nicht«, antwortete Del an Skars Stelle. »Einer von euch muß an dem Zeug heraufklettern, bis er hier über uns ist, und uns das Seil zuwerfen. Es ist nicht so schwer, wie es aussieht.« Er packte das Seil, ließ etwa einen Meter überhängen und wickelte sich die Schnur sorgsam um beide Hände. Skar ergriff das überstehende Ende und verfuhr genauso. Dann trat er einen Schritt von der Kante zurück, spreizte die Beine und suchte mit den Füßen nach festem Halt. »Beeilt euch«, sagte er, als Bernec immer noch keine Anstalten machte, nach dem Seil zu greifen. »Wir haben noch eine Menge zu tun, ehe sie kommen. Oder möchtest du vielleicht zehn Meter über dem Boden hängen, wenn wir hier oben angegriffen werden?«
Bernec zuckte sichtlich zusammen, griff nach dem Seil und begann zum zweiten Mal in die Höhle hinabzusteigen.
Nach Skars Zeitgefühl schienen Stunden zu vergehen, ehe sich das Seil zum letzten Mal in seinen Händen entspannte und er seine verkrampften Muskeln endlich lockern konnte. Er keuchte, wankte einen Schritt zur Seite und ließ sich erschöpft gegen die Wand sinken. Sein Rücken schmerzte unerträglich. Seine Unterarme waren verkrampft und schienen hart wie Holz, und er hatte
Weitere Kostenlose Bücher