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Enwor 1 - Der wandernde Wald

Enwor 1 - Der wandernde Wald

Titel: Enwor 1 - Der wandernde Wald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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das Gefühl, seine Hände niemals wieder bewegen zu können. Sein Herz dröhnte, und unter seinen Rippen hatte sich ein kleiner, stechender Schmerz eingenistet. Er blieb sekundenlang schweratmend gegen die Wand gelehnt stehen, richtete sich dann mühsam auf und bückte sich nach dem Seil, das er fallen gelassen hatte. Del schien kaum weniger erschöpft als er selbst zu sein. Er hockte auf Händen und Knien neben dem Abgrund, rang keuchend nach Atem und schüttelte unablässig den Kopf, als versuche er das Dröhnen in seinem Schädel wegzublinzeln.
    »Und das mir«, stöhnte er zwischen zwei schnellen, hektischen Atemzügen. »Ich hätte Bergführer werden sollen statt Satai.«
    Skar grinste flüchtig. Es war Dels Art, innere Spannungen mit einer sarkastischen Bemerkung — oder was er dafür hielt — abzutun, aber er kannte ihn zu lange, um nicht zu merken, wie nervös der junge Satai in Wahrheit war. Er ging zu ihm hinüber, hockte sich dicht neben ihm auf den Boden und legte ihm die Hand auf die Schulter. Dels Haut war feucht vor Schweiß, und sein Herz pochte so heftig, daß er die Schläge bis in die Fingerspitzen fühlen konnte.
    »Wenn es zuviel für dich wird«, sagte er leise, »mache ich es allein. Ich glaube kaum, daß es mehr als zwei oder drei Mann sein werden.«
    Del hob müde den Kopf und versuchte zu lächeln. »Den Tag, an dem ich vor dir aufgebe, erlebst du nicht mehr, alter Mann«, sagte er spitz.
    Skar schüttelte den Kopf. »Ich meine es ernst. Du hast eine Menge hinter dir, vergiß das nicht. Und du tust mir keinen Gefallen, wenn du den Helden spielst.
    Wir haben auch so genug Probleme. Und ich habe keine Lust, dich an die Oberfläche tragen zu müssen.«
    Del richtete sich in eine hockende Stellung auf und schob seine Hand beiseite. »Ich bin in Ordnung«, sagte er verärgert. »Aber ich beginne allmählich an deinem Verstand zu zweifeln. Ich wollte dir vorhin nicht in den Rücken fallen, aber hältst du es wirklich für eine gute Idee, wie ein Affe in dem Zeugs da draußen herumzuklettern und zu warten, bis sie kommen? Wer immer sie sein mögen.«
    »Nein«, gestand Skar. »Aber hast du eine bessere?«
    Del wandte den Kopf und starrte eine Zeitlang in den schwarzen Abgrund neben sich hinab. »Nein«, gestand er. »Aber es gefällt mir trotzdem nicht.«
    »Mir auch nicht«, murmelte Skar. »Aber es ist möglich. Seshar hat sicher nicht mehr als zwei oder drei Mann hinter uns- hergeschickt. Wir steigen an dem gleichen Strang empor, den du vorhin benutzt hast. Du kletterst etwas höher und suchst eine Stelle, an der du das Seil festbinden kannst. Wenn sie kommen, schwinge ich mich daran in den Tunnel und überrumpele sie. Selbst wenn es drei oder vier sind, habe ich den Vorteil der Überraschung auf meiner Seite.«
    »Aber sicher«, bestätigte Del. »Es kann ja auch gar nichts schiefgehen. Wenn dieses Zeug da draußen das Gewicht von zwei Männern trägt, heißt das. Wenn das Seil nicht reißt und du dich nicht verschätzt und dir an der Wand den Schädel einrennst, und wenn du nicht mit einem Schwertstreich oder einem Pfeil empfangen wirst.«
    »Du hast eine herzerfrischende Art, mir Mut zu machen«, sagte Skar säuerlich.
    Del grinste. »Ich weiß noch mehr.«
    »Oh, danke. Es reicht, es reicht. Heb dir deine Phantasie auf, bis wir hier heraus sind. Ich habe das Gefühl, der Ärger geht dann erst richtig los.«
    »Was ist aus deinem festen Vorsatz geworden, dich nicht einzumischen?« fragte Del überrascht. »Ich dachte, du wolltest so rasch wie möglich weg von hier?«
    »Das will ich immer noch«, entgegnete Skar. »Aber glaubst du wirklich, daß sie uns so einfach gehen lassen werden? Seshar wird Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um uns mundtot zu machen. Außerdem habe ich noch eine Rechnung zu begleichen. In Ipcearn.«
    »Seit wann bist du rachsüchtig?« spottete Del.
    Skar dachte an einen zehnjährigen Jungen mit großen, unschuldigen Augen und schwieg. Ein leises, schabendes Geräusch drang aus der Tiefe des Stollens zu ihnen herauf und verklang, ehe er sicher sein konnte, ob er es wirklich gehört oder sich nur eingebildet hatte. Er wandte den Kopf, versuchte einen Moment lang, die Dunkelheit mit Blicken zu durchdringen, und kroch dann auf Händen und Knien zur Kante hinüber. Das rote Licht der Fackeln drang wie ein geheimnisvolles Leuchten aus einem schwarzen, grundlosen See zu ihnen hinauf.
    »Wie weit seid ihr?« rief er hinab.
    Einen Augenblick lang erfolgte keine Reaktion

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