Enwor 1 - Der wandernde Wald
Brauen entstand eine steile Falte. »Ich bin die Kommandantin der Königlichen Garde, falls es dich interessiert,
Gefangener Del«,
sagte sie eisig.
»Und du wärest gut beraten, wirklich nur dann zu reden, wenn du angesprochen wirst.«
Del grinste unerschütterlich weiter. »Jawohl, Kommandantin Coar. Wie Ihr befehlt. Euer getreuer Diener.«
Skar warf ihm einen warnenden Blick zu, aber Del schien die Sache mit Gewalt auf die Spitze treiben zu wollen. »Und das da«, fügte er mit einer Kopfbewegung auf die Reiter hinzu, »ist dann wohl die
Königliche Garde,
wie?« Der ätzende Spott, mit dem er die beiden Worte aussprach, war nicht zu überhören.
Die dunklen Augen der Kommandantin blitzten drohend auf, aber Del übersah auch diese letzte Warnung.
»Ihr solltet Euch überlegen«, fuhr er fort, »ob —«
Coar riß in einer blitzschnellen Bewegung den Säbel aus der Scheide und schlug zu. Del schrie auf, taumelte zurück und preßte die gefesselten Hände an die Wange. Zwischen seinen Fingern sikkerte Blut hervor.
»Ich habe dich gewarnt«, murmelte Skar.
Del schenkte ihm einen zornigen Blick und wandte sich ab.
»Laßt euch das eine Warnung sein«, sagte Coar laut. »Das nächstemal mache ich ernst.«
Skar glaubte ihr. Coar schien nicht zu den Menschen zu gehören, die es in vollen Zügen auskosteten, wenn sie anderen ihre Macht zu spüren geben konnten. Aber sie hatte immer noch Angst vor den beiden hünenhaften Fremden, und das war vielleicht schlimmer. Skar hatte das alte Spiel von Fangen und Gefangenwerden zu oft gespielt, um die Regeln nicht genau zu kennen. Es gehörte zu seinen Grundsätzen, sich in der Rolle des Gefangenen möglichst folgsam und unauffällig zu benehmen. Ein Wächter, der Angst vor seinem Gefangenen hat, ist aufmerksamer.
Coar setzte umständlich ihren Helm auf und zwang ihr Pferd mit einer ungeduldigen Bewegung herum. »Reiten wir. Der Weg ist noch weit.«
Die dünnen Seile, mit denen ihre Hände an die Sättel gebunden waren, spannten sich. Die Gruppe schlug von Anfang an ein scharfes Tempo ein. Die Pferde verfielen in einen gleichmäßigen, kräftesparenden Trab, und die beiden Gefangenen mußten rennen, um nicht von den Füßen gerissen und hinterhergeschleift zu werden. Die junge Kommandantin schien nicht gewillt zu sein, mehr Rücksicht als unbedingt nötig zu nehmen. Aus irgendeinem Grund hatte sie es plötzlich sehr eilig, aus diesem Teil des Waldes herauszukommen. Skar waren die verstohlenen raschen Blicke, die sie und ihre Begleiter immer wieder nach rechts und links warfen, nicht entgangen. Die Königliche Garde schien nicht unbedingt der unumschränkte Beherrscher dieses Waldes zu sein.
Sie bewegten sich im rechten Winkel zu ihrem bisherigen Kurs weiter. Waren Del und Skarbis dahin in direkter Verlängerung des Weges, auf dem sie den Wald betreten hatten, weitergegangen, so schlugen Coars Reiter eine nordwestliche Richtung ein, wobei sie allerdings oft und ohne erkennbaren Grund vom geraden Weg abwichen, sich hierhin und dorthin wandten und einmal sogar in weitem Bogen auf ihre eigene Spur zurückkehrten, ohne daß Skar einen Anlaß dafür erkennen konnte: Es dauerte lange, bis ihm klarwurde, daß Coar keineswegs ziellos vorging, sondern einem sorgsam angelegten und für das Auge dessen, der wußte, wonach er zu suchen hatte, deutlich markierten Weg folgte. Der Wald wurde nun zunehmend dichter, und der in scharfem Tempo begonnene Ritt verlor bald an Schwung. Die beiden Gefangenen wurden noch immer unbarmherzig hinter den Pferden hergezerrt, aber das Tempo war nun so, daß sie es durchhalten konnten. Offensichtlich hatte Coar nicht vor, sie zu Tode zu schleifen.
Skar setzte leichtfüßig über einen Busch, zog den Kopf ein, um einem tiefhängenden Ast auszuweichen, und verdrehte sich halbwegs den Hals, um nach Del zu sehen. Sie waren getrennt worden — ob zufällig oder mit Vorbedacht, vermochte er nicht zu sagen —, so daß sich Del fast fünfzig Schritt hinter ihm am Ende der Gruppe befand. Sein Gesicht hatte einen maskenhaften, fast starren Ausdruck angenommen, und seine Schritte waren zwar schnell, aber von einer hölzernen, ungelenken Art, die Skar mehr als alles andere bewies, daß der junge Satai am Ende seiner Kräfte war. Del wäre nicht der erste, dem seine eigene Willensstärke zum Verhängnis wurde. Skar kannte diese Gefahr nur zu gut — die Barrieren, die einen Menschen vor sich selbst schützten, waren bei einem Satai nur noch bedingt vorhanden.
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