Enwor 1 - Der wandernde Wald
Del konnte weiterlaufen, immer weiter und weiter, zu stolz oder einfach nur zu erschöpft, um aufzugeben, aber er würde diese Leistung mit dem Leben bezahlen. Wo der Wille stärker war als der Körper, endete dieses stumme Duell meist mit dem Tod.
Er begann, langsamer zu laufen. Die dünne Leine zwischen seinen Handgelenken und dem Pferdesattel spannte sich. Der Ruck schien ihm die Arme aus den Gelenken zu reißen, und die geflochtenen Pflanzenfasern schnitten tief in seine Haut, aber er ignorierte den Schmerz und begann im Gegenteil, die Arme mit kleinen regelmäßigen Rucken enger an den Körper zu ziehen.
Der Reiter wandte ärgerlich den Kopf und machte mit seiner behandschuhten Hand eine befehlende Geste, deren Bedeutung Skar unschwer erraten konnte. »Coar«, sagte er, vor Erschöpfung und Schmerz keuchend. »Ich muß die Kommandantin sprechen.«
Einen Moment lang sah es so aus, als würde der Gepanzerte seine Worte ignorieren und einfach weiterreifen, dann nickte er widerwillig und brachte sein Tier langsam zu Stehen. Skar stolperte noch ein paar Schritte weiter und taumelte schließlich gegen die schweißfeuchte Flanke des Pferdes. »Coar«, wiederholte er atemlos. Seine Zunge versagte ihm den Dienst. Sein Herz hämmerte, und die Erschöpfung schlug wie eine schwere, lähmende Woge über ihm zusammen. Wäre nicht das Pferd gewesen, gegen das er sich lehnte — er wäre gestürzt. In seinem Mund war mit einemmal ein bitterer Geschmack wie nach Kupfer oder altem, rostigem Eisen. Das dumpfe Hämmern der Pferdehufe, der scharfe Schweißgeruch und das metallische Schaben von Rüstungen und eingefettetem Leder erschienen seltsam gedämpft, als nehme er sie durch einen dichten, wattigen Schleier wahr.
»Was ist los?« Coars Stimme zitterte vor Ungeduld und mühsam beherrschtem Zorn. Skar hob müde den Kopf und blinzelte durch einen Schleier aus Tränen und Erschöpfung zu der Kommandantin empor. Die goldschimmernde Rattenschnauze, hinter der sich das Gesicht der jungen Frau verbarg, schien sich vor seinem Blick zu wellen, sie verschwamm, zog sich erst in die Breite, dann in die Länge und befand sich in beständiger unruhiger Bewegung, als betrachte er sie durch einen Vorhang aus glasklarem Wasser.
»Du… bringst uns um«, keuchte er. Speichel füllte seinen Mund, bitterer, mit dem Geschmack von Erbrochenem durchsetzter Speichel, der seine Sinne umnebelte und eine dünne Verbindungslinie zu dem immer stärker werdenden Gefühl der Übelkeit in seinem Magen schuf. Er hatte das Gefühl, als ob in seinem Inneren etwas ganz dicht davorstand zu zerbrechen. »Wir… brauchen eine Rast.«
Coar schüttelte den Kopf. »Später. Ihr könnt ruhen, wenn wir in Went sind. Wir können nicht rasten.«
Skar war das winzige Zögern vor ihrer Antwort wohl aufgefallen, aber er war viel zu erschöpft, um sich weitere Gedanken darüber zu machen. Zorn wallte in ihm empor und schwemmte für einen winzigen Moment sogar die Erschöpfung davon. »Du wirst zwei Tote nach Went bringen«, sagte er wütend. »Wir sind fünf Tage durch diese verdammte Wüste geirrt und halb verdurstet hier angekommen! Del ist verletzt!«
Coar zögerte einen Herzschlag lang. Die starre Goldmaske verbarg ihr Gesicht vor Skars Blicken, aber er hatte den Eindruck, als ob seine Worte die junge Frau nachdenklich gestimmt hätten. Sie bewegte sich unruhig im Sattel, richtete sich auf und griff entschlossen nach den Zügeln. »Eine kleine Weile noch«, sagte sie schließlich. »Wir müssen aus diesem Teil des Waldes heraus, dann rasten wir. Eine meiner Kriegerinnen wird sich um deinen Freund kümmern.« Sie wandte sich abrupt um und lenkte ihr Pferd wieder an die Spitze der Kolonne zurück, ehe Skar Gelegenheit zu weiteren Einwänden hatte.
Die Pferde setzten sich schnaubend in Bewegung. Der Wald wurde noch dichter, und das Unterholz wuchs allmählich zu einer kompakten grünen Masse zusammen. Trotzdem trieben die Reiter ihre Tiere unbarmherzig voran.
Nach einer Weile schimmerte es hell vor ihnen durch die Bäume. Coar hob die Hand und brachte ihr Pferd mit einem brutalen Ruck am Zügel zum Halten. Das Tier schnaubte und begann unruhig auf der Stelle zu treten.
Die Kommandantin wartete, bis der Rest der Gruppe mit den beiden Gefangenen hinter ihr Aufstellung genommen hatte, bevor sie ihr Tier vorsichtig auf die Lichtung hinaustrieb. Skar fiel auf, wie-widerwillig sich das Pferd bewegte. Es versuchte immer wieder auszubrechen und zurückzugehen und war nur
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