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Enwor 1 - Der wandernde Wald

Enwor 1 - Der wandernde Wald

Titel: Enwor 1 - Der wandernde Wald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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durch die zahlreichen über- und ineinander geschachtelten Ebenen, aus denen es aufgebaut war, wurde sein Inneres für einen Fremden wie ihn zu einem Labyrinth, in dem er sich hoffnungslos verirren mußte. Schließlich griff er sich einen x-beliebigen Soldaten, der ihm irgendwo in den unteren Ebenen über den Weg lief, und fauchte ihn an, ihn zu seinen Gemächern zu führen. Der Mann schien durch den unerwartet gereizten Ton perplex und starrte ihn sekundenlang verständnislos an, bis Skar mit einem derben Rippenstoß dafür sorgte, daß er endlich begriff, was er von ihm wollte.
    Die Spannung fiel erst von ihm ab, als er die Tür seines Zimmers hinter sich geschlossen hatte und allein war. Mit einemmal fühlte er, wie ihn der Kampf erschöpft hatte. Seine Oberarme schmerzten von den unzähligen wuchtigen Hieben, die er ausgeteilt und aufgefangen hatte, und die Wunde an seiner Seite brannte wie Feuer. Für einen winzigen Augenblick, das spürte er, war der Kampf echt gewesen. Mergell hatte ihn töten wollen —und er war ein verdammt gefährlicher Gegner.
    Er blieb einen Moment lang gegen die Tür gelehnt stehen, ging dann zum Bett und ließ sich der Länge nach in die weichen Dekken fallen und blieb zehn, fünfzehn Minuten lang vollkommen reglos liegen. Er schlief nicht, aber er war auch nicht mehr ganz wach, sondern befand sich in einer Art Dämmerzustand, als hätte sein Bewußtsein die Bedürfnisse seines Körpers auf ein Minimum reduziert, um den Fluß seiner Gedanken möglichst frei von störenden Einflüssen zu halten. War der Ausdruck, den er auf Seshars Gesicht gesehen hatte, wirklich nur Verachtung gewesen? Oder war es mehr? Die Worte, die Seshar am vergangenen Abend benutzt hatte, gingen ihm nicht mehr aus dem Sinn. Manche überlebten die Entbehrungen nicht, die sie auf dem Weg hierher überstehen mußten. Andere wieder gingen nach kurzer Zeit, um den Rückweg zu suchen. Keiner von ihnen fand ihn. Und wieder andere wurden getötet, von mir oder denen, die vor mir die Verantwortung für Cearn innehatten. Welches dieser drei Schicksale würde —wenn überhaupt — auf ihn warten?
    Jemand klopfte gegen die Tür, zuerst leise und zaghaft, dann, als Skar nicht gleich antwortete, ungeduldiger und fordernder. Er setzte sich auf, runzelte überlegend die Stirn und rief leise: »Herein.«
    Die Tür ging auf, und Mergell betrat den Raum. Er sah nicht gut aus. Sein linker Arm hing in einer Schlinge, die Hand war seltsam verkrümmt, als hätte er einen Krampf. Sein Gesicht wirkte verschwollen und war blau und rot angelaufen. Er humpelte. Er schob die Tür hinter sich zu, lehnte sich dagegen und betrachtete Skar zehn, fünfzehn Sekunden lang schweigend.
    »Was willst du?« fragte Skar unfreundlich.
    Mergell lächelte. »Eigentlich«, sagte er ruhig, »ist es zu früh, zu dir zu kommen, aber ich kenne Ipcearn wie kein anderer, und ich glaube kaum, daß mich jemand gesehen hat.« Er trat einen Schritt näher und versuchte zu lächeln, aber sein angeschwollenes Gesicht ließ eher eine Grimasse daraus werden.
    Skar setzte sich widerwillig auf. »Was willst du?« fragte er noch einmal.
    Mergell blieb stehen und blickte unsicher auf seine verkrümmte Hand. »So, wie es aussieht, sollte ich mich vielleicht bei dir bedanken, daß du mir nicht alle Knochen im Leib gebrochen hast«, murmelte er.
    Skar betrachtete sekundenlang den blutigen Schnitt an seiner Seite und lächelte säuerlich.
    »Ich weiß, was du jetzt denkst«, sagte Mergell hastig. »Aber mir blieb keine Wahl. So, wie du mich verdroschen hast, hätte mir niemand geglaubt, daß ich dich doch noch besiege. Ich mußte zum Schwert greifen.«
    »Du kämpfst besser, als ich gedacht hatte«, sagte Skar, ein wenig freundlicher, aber keineswegs versöhnt.
    »Ich hoffe, es hat echt gewirkt«, sagte Mergell.
    Skar schnaubte. »Es war echt, nicht wahr?«
    Mergell zögerte einen Moment, versuchte vergeblich Skars Blick standzuhalten und trat unbehaglich von einem Fuß auf den anderen. »Für einen Moment — ja«, bekannte er. »Aber ich weiß, daß du mich hättest umbringen können, wenn du gewollt hättest. Ihr Satai seid wirklich gute Krieger.«
    Skar stand auf, trat ans Fenster und schüttelte den Kopf. »Ich habe nicht auf Satai-Art mit dir gekämpft, Mergell«, sagte er ruhig und ohne sich umzuwenden. »Ein wirklich ernstgemeinter Kampf dauert selten länger als wenige Sekunden. Du hast es schon ganz richtig ausgedrückt — ich habe dich verdroschen, mehr nicht.«

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