Enwor 2 - Die brennende Stadt
in einem Prozeß, der Jahrhunderte, vielleicht Jahrtausende andauern mochte, verzehrte. Skar glaubte für einen winzigen Moment zu ahnen, welche Gewalten hier aufeinandertrafen, welche ungeheure Macht die Herren Combats gegen den Zorn der Götter aufgeboten hatten.
Und er war hier, um den Schlüssel zu dieser Macht zu holen…
Er riß sich gewaltsam von dem Anblick los, beschattete die Augen mit der Hand und sah sich weiter um. Es war, wie Gowenna gesagt hatte — der Tempel war auch von hier aus deutlich sichtbar, eine gewaltige Kuppel, die die Dächer der Häuser weit überragte und irgendwo hoch über ihm in den brennenden Himmel eintauchte. Das Licht brach sich in den unzähligen Facetten des Kristallgebildes, bildete tanzende Feuerlinien und grelle, unablässig wechselnde Formen und Umrisse, Kaskaden und lautlose Wirbelstürme aus Helligkeit, in denen die Stadt zu ertrinken schien.
Skar zuckte zusammen, als ein kochender Luftstrom seine Beine streifte. Er fuhr herum und erkannte mit plötzlichem Schrecken, daß die Feuerwand, der er mit Mühe entkommen war, nun auf ihn zuwanderte, als wolle sie sich das entgangene Opfer noch im nachhinein holen. Er wich zwei, drei Schritte zurück, stieß mit dem Rük-ken gegen die Wand und wandte sich eilig zur Flucht. Er war keineswegs in Sicherheit. Die Stärke, die er zu spüren glaubte, trog. Sein Körper hatte einen Grad der Erschöpfung erreicht, mit dem er eine zweite Tortur wie die gerade überstandene nicht mehr verkraf-
ten konnte.
Die Straße vor ihm war von Flammen übersät; kleine, wie geschäftige Insekten hin und her eilende Feuernester, dünne Linien greller Weißglut, wie das Netz einer Feuerspinne quer über den zerborstenen Marmor gespannt, aber auch gewaltige, brüllende Säulen unerträglicher Lohe, die wie feurige Geysire aus dem Boden brachen. Er lief im Zickzack, sprang, den Kopf schützend zwischen den Armen verborgen, durch dünne Feuervorhänge und duckte sich unter den Glutstrahlen, die aus den geschwärzten Fensteröffnungen eines brennenden Hauses auf die Straße fauchten. Der Boden unter seinen Füßen zitterte, und mehr als einmal konnte Skar im letzten Moment zurückspringen, wenn ihm dort, wo ein scheinbar sicherer Weg war, siedendheiße Luft entgegenschlug.
Er sah sich immer wieder im Laufen um. Die Feuerwand hatte den Platz überquert und den Anfang der Straße erreicht, in die er sich geflüchtet hatte, war jedoch dort zur Ruhe gekommen. Aber so, als hätte der glühende Geist dieser Stadt alles in seiner Macht Stehende aufgeboten, um ihn zu verfolgen, tanzten nun kleine, flammende Wirbel über die Straße, flinke Wesen aus Hitze und Licht, wie winzge Windhosen in beständiger Bewegung, hierhin und dorthin eilend und nur manchmal und fast widerwillig den Boden berührend. Obwohl ihm der Gedanke selbst absurd erschien, konnte er sich des Eindrucks nicht erwehren, daß diese Flammenwesen wirklich lebten, keine Launen des Sturmes und der Hitze waren, sondern denkende, bewußt handelnde Wesen, feurige Wächter, die aufgestanden waren, ihr Reich zu beschützen.
Er lief schneller, überquerte einen weiteren, von Feuer und Glut übersäten Platz und bog in eine breite, von Marmorsäulen gesäumte Allee ein. An ihrem Ende, unerträglich schön und unerträglich schrecklich zugleich, lag der Tempel.
Eine brüllende Feuerwolke explodierte aus einem der Häuser heraus und hüllte ihn ein, fauchte weiter, zu schnell, um ihn wirklich zu verbrennen, aber wütend genug, um ihn von den Füßen zu reißen und mit grausamer Wucht zu Boden zu schleudern. Er fiel, rollte meterweit mit hilflos rudernden Armen über den Stein und schnappte verzweifelt nach Luft. Zwischen den Säulen zu seiner Linken tauchte ein Feuerwirbel auf, klein, flackernd und leichtfüßig, hüpfte auf die Straße hinaus und sprang mit einem erschrockenen Satz wieder zurück, kehrte um. Ein zweiter gesellte sich dazu, dann ein dritter, vierter. Skar stemmte sich hoch, griff mit einer ebenso sinnlosen wie verzweifelten Bewegung nach seinem Schwert und rannte weiter auf den Tempel zu. Die Luft vor ihm begann zu flimmern. Der Tempel schien plötzlich hinter einer senkrechten Wasserwand zu liegen, verzerrte, verbog sich auf gräßliche Weise, schleuderte Licht und Hitze auf ihn herab. Ein hoher, singender Ton mischte sich in das Brüllen der Flammen, ein Geräusch, als wisperten Tausende heller böser Kinderstimmen durcheinander. Er rannte schneller, versuchte den Eingang des Tempels
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