Enwor 4 - Der steinerne Wolf
waren. Sie gingen rasch an Tantor vorbei, zogen ihre Waffen und nahmen im Kreis um Skar Aufstellung. Skar fiel auf, daß sie sich krampfhaft zu bemühen schienen, den Zwerg nicht direkt anzublicken. Sie wirkten nervös.
»Weißt du, was man mit jemandem macht, der lästig wird?« fuhr Tantor fort, nachdem er die Tür wieder geschlossen und den Riegel vorgelegt hatte. »Man beseitigt ihn.«
»Ihr habt mir versprochen, ihn nicht zu töten«, sagte Herger.
Skar drehte den Kopf und sah den jungen Schmuggler an. Hergers Gesicht hatte alle Farbe verloren. Sein Blick irrte immer wieder zwischen Skar und Tantor hin und her, und das Schwert in seiner Hand wirkte deplaciert. Er schien nicht so recht zu wissen, was er überhaupt mit der Waffe sollte.
Tantor wischte seinen Einwand mit einer ungeduldigen Geste beiseite. »Versprochen«, sagte er. »Frag deinen Freund Skar, wie
er
seine Versprechungen hält.«
»Aber du ...«
»Genug!« fauchte Tantor. »Sei still und bedanke dich lieber bei deinen Göttern, daß ich es mir nicht anders überlege und dich dafür bestrafe, daß du ihm Unterschlupf gewährt hast.«
Herger wurde sichtlich noch bleicher. Die Drohung in Tantors Stimme war nicht zu überhören. »Und ... Andred?« fragte er stockend.
Tantor runzelte in gespieltem Nichtverstehen die Stirn. »Was soll mit ihm sein?« fragte er überrascht. »Er ist ein Verräter wie Skar und wird mit ihm gehenkt. Wenn du willst, lasse ich dir einen Platz in der vordersten Reihe reservieren. Du kommst doch zur Hinrichtung, oder?«
Herger keuchte, machte einen halben Schritt und hob das Schwert. Einer der Thbarg-Krieger vertrat ihm drohend den Weg. Tantor lachte leise. »Du bist und bleibst ein Idiot, Herger«, sagte er gleichmütig. »Aber ich will großzügig sein. Ich habe lange auf diesen Tag warten müssen, weißt du ? Behalte das Schwert und den Waffengurt des Satai. Wer weiß, vielleicht wird das Zeug einmal wertvoll — für einen Trödler. Ich glaube ...«
Von draußen drang ein gellender, schriller Schrei herein. Tantor zuckte zusammen, sah erschrocken zur Tür und gab den drei Thbarg einen Wink. Die Krieger traten näher an Skar heran. Der Schrei wiederholte sich; höher, schriller und verzweifelter diesmal, dann drang ein dumpfes, dröhnendes Geräusch durch das dünne Holz der Tür, ein Laut, als schlüge Fels gegen Metall. Skar richtete sich weiter auf und versuchte auf die Füße zu kommen. Tantor fuhr herum und hob die Hand. Der Mantel zog sich mit einem schmerzhaften Ruck enger um Skar zusammen und ließ ihn erneut auf die Knie sinken.
Der Lärm vor der Tür verstärkte sich. Waffen klirrten, ein Mann schrie in Todesangst. Dann traf irgend etwas gegen die Tür, zerschmetterte den Riegel und das morsche Holz und brach in einem Wirbel von Kalk und fliegenden Holzsplittern in den Raum.
Skar reagierte um den Bruchteil einer Sekunde schneller als seine Bewacher. Er ließ sich zur Seite fallen, zog die Knie an den Körper und stieß mit aller Macht zu. Seine gefesselten Füße trafen Tantor vor die Brust, schleuderten ihn gegen die Wand und ließen ihn halb bewußtlos zu Boden sinken. Jemand schrie. Etwas Gewaltiges, Schwarzes setzte über Skar hinweg, brach wie ein tödlicher Sturmwind aus schwarzem Granit und reißenden Fängen über die drei Thbarg-Krieger herein und riß sie von den Füßen.
Es ging zu schnell, als daß Skar wirklich Einzelheiten erkennen konnte. Eine Woge von Schwarz erfaßte die Krieger, rollte über sie hinweg und hinterließ nichts als drei zerschmetterte, blutige Bündel, die kaum mehr als menschliche Wesen zu erkennen waren. Herger stieß einen krächzenden, ungläubigen Schrei aus, wich zur Wand zurück und starrte aus weitaufgerissenen Augen auf das schwarze, steinerne Monstrum. Auch Skar versuchte sich hochzustemmen, aber der Mantel hatte sich so eng um seinen Körper geschlungen, daß er kaum mehr zu einer Bewegung fähig war.
Der Wolf wandte langsam den Kopf. Sein schwarzer Leib glitzerte wie ein Stück lebendig gewordener Nacht. Etwas Dunkles, Körperloses schien das Tier einzuhüllen, eine Aura von Macht und Gewalttätigkeit, die den Wolf begleitete wie ein letzter Hauch der fremden Welt, aus der er gekommen war. Skar versuchte vergeblich dem Blick seiner dunklen, lichtlosen Augen standzuhalten. Er spürte plötzlich, daß es nichts gab, was dem Blick dieser steinernen Pupillen verborgen bleiben konnte. Er spürte auch, daß das Tier so mühelos auf den Grund seiner Seele blickte
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