Enwor 6 - Die Rückkehr der Götter
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E s war hell, als er erwachte. Das Feuer war zu einem düsteren Glutklumpen zusammengesunken, der kaum noch Wärme spendete, aber jemand — vermutlich Syrr — hatte den Mantel wie eine Decke über ihn gebreitet und sogar ein zusammengerolltes Kleidungsstück als Kissen unter seinen Kopf geschoben. Trotzdem war die Kälte bis in die letzte Faser seines Körpers gekrochen; er fühlte sich steif und betäubt und gelähmt, und in seinem Bein pochte ein dumpfer, quälender Schmerz.
Skar hatte Mühe, aufzuwachen. Seine Lider waren verklebt, und als er sie auseinanderzwang, schmerzte das Licht der Morgensonne in seinen Augen. Fetzen eines Traumes schossen durch seinen Kopf — es war ein sehr angenehmer Traum gewesen, und für einen Augenblick war die Verlockung übermächtig, die Augen wieder zu schließen, sich zu entspannen und sich wieder in ihn hineinfallen zu lassen.
Aber er wußte, daß er sterben würde, wenn er das tat. Er würde erfrieren; schlicht und einfach erfrieren.
Vorsichtig schob er den Mantel von sich herab, setzte sich auf und sah sich um. Ihm war kalt. Eisiger Matsch klebte an seinem Rücken, denn seine Körperwärme hatte den Schnee geschmolzen, in dem er gelegen hatte. Auf seiner rechten Hand, die unter der improvisierten Decke hervorgesehen hatte, glitzerten Eiskristalle. Der Mantel selbst war hartgefroren und knisterte, als er ihn vollends von sich herunterschob, um an sich herabzublicken. Was er sah, kam nicht überraschend, aber es erschreckte ihn trotzdem: Von den Hüften abwärts war er mit dem Blut und Kot des Hundes beschmiert. Er stank, trotz der Kälte, die sich wie eine zweite, unsichtbare Decke aus Glas über der Lichtung ausgebreitet hatte. Die zahllosen Kratzer und Wunden, die er davongetragen hatte, würden sich entzünden, wenn er nicht sofort etwas dagegen unternahm.
Trotzdem war das das kleinere Problem — mehr Sorgen bereitete ihm der Anblick seines Fußgelenkes.
Es gab keinen Zweifel mehr daran, daß es gebrochen war, ganz egal, was Syrr behauptet hatte: Sein Fuß war unförmig angeschwollen und schmerzte höllisch, und an zwei Stellen begann die Haut sich bereits dunkel zu färben. Wenn er hierblieb, dachte er — wenn auch eigentlich eher mit einem Gefühl von Ärger als wirklicher Angst — dann hatte er die Wahl, an Wundbrand zu sterben oder zu erfrieren.
Oder erschlagen zu werden.
Unsicher, ob dieser Teil seiner Erinnerungen nun wirklich wahr oder nur Teil eines Alptraumes gewesen war, hob er die Hand und tastete nach seiner Schläfe. Ein dünner Schmerz schoß durch seinen Kopf und stach wie eine Nadel in sein Auge, und seine Fingerspitzen ertasteten Schorf und heiße, geschwollene Haut. Es war wahr. Träume pflegen keine Wunden zu hinterlassen. Syrr hatte ihn niedergeschlagen, als...
Ja, dachte er, mehr verstört als zornig:
Als er sich als Satai zu erkennen gegeben hatte.
Und bei den Quorrl war ein Satai gewesen.
Skar weigerte sich, die Folgerung zu akzeptieren, die sich aus diesen beiden Tatsachen ergab.
Er biß die Zähne zusammen, stemmte sich hoch, so weit er konnte, und versuchte sein Schwert als Krücke zu benutzen. Es ging nicht. Die rasiermesserscharfe Klinge glitt in den hartgefrorenen Boden wie in weichen Sand; Skar konnte sich gerade noch zurückfallen lassen, ehe er das Gleichgewicht verlor und nach vorne stürzte.
Wütend legte er das
Tschekal
aus der Hand und sah sich nach etwas anderem um, auf das er sich stützen konnte. Sein Blick blieb an dem Speer hängen, der noch immer aus dem Leib des Hundes ragte. Es war ein gutes Stück bis dorthin — sechs, vielleicht sieben Meter — er registrierte erst jetzt, daß Syrr oder Talin den Kadaver ein gutes Stück fortgeschleift hatten. Die Entfernung zu den Pferden betrug das Doppelte, aber es war die entgegengesetzte Richtung.
Abermals ließ er sich zurücksinken, zog den Mantel fröstelnd bis an die Schultern hoch und sah sich auf der Lichtung um. Syrr und Talin hatten zwei Pferde genommen — irgendwie befriedigte ihn der Gedanke, daß sie damit eine reelle Chance hatten zu entkommen — und die beiden anderen Tiere dort stehen lassen, wo sie waren. Der tote Satai und die beiden Quorrl lagen noch so, wie sie gestürzt waren, aber es hatte in der Nacht geschneit, und die drei Leichen waren schon halb unter einer flockigen weißen Decke verschwunden. Skar zögerte noch einen Moment, dann schloß er mit klammen Fingern die Spange des Mantels, um ihn nicht zu verlieren,
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