Enwor 6 - Die Rückkehr der Götter
Skar konnte die wohltuende Betäubung fühlen, die sich in seinem Körper ausbreitete, schnell und fließend und sehr warm. Dann veränderte sich auch der alte Mann, und statt seiner saß plötzlich Syrr an seinem Bett, und
Skar erwachte.
Der
Daij-Djan
war verschwunden, ebenso wie der Gesichtslose Prediger, aber Syrr war noch da.
Sie saß auf der Kante seines Bettes, halb nach vorne gebeugt, das Körpergewicht mit nur einem Arm abgestützt und so, daß sie ihn nicht berührte. Sie sah sehr müde aus. Ihr Haar hing ihr in dünnen, verklebten Strähnen in die Stirn, sie war blaß, und ihre Augen waren rot und entzündet; mit dicken, schweren Tränensäcken unterlegt, als hätte sie stundenlang in die Sonne gestarrt.
Skar begriff plötzlich, daß sie die halbe Nacht neben ihm gesessen und gewacht haben mußte.
Obwohl das Mädchen nicht in seine Richtung sah, schien sie seinen Blick zu spüren. Sie blickte auf, fuhr mit deutlichen Anzeichen von Erschrecken zusammen und beugte sich vor.
»Du bist wach!« rief sie. Ihre Stimme klang unendlich erleichtert — was einigermaßen sonderbar war für jemanden, der ihm noch vor Tagesfrist den Schädel einzuschlagen versucht hatte.
Aber die Freude in ihrem Blick war echt. Und auch Skar verspürte eine fast absurde Erleichterung, sie zu sehen. Er hätte sie hassen oder zumindest zornig sein müssen, aber weder das eine noch das andere war der Fall. Vielleicht war es einfach die Tatsache, daß er nicht mehr allein war. Sie war ein Mensch, und sie hatte den Dämon aus seinen Träumen vertrieben, einfach dadurch, daß sie da war.
»Wie... kommst du hierher?« murmelte er. Das Sprechen bereitete ihm Mühe. Seine eigene Stimme klang in seinen Ohren wie die eines alten Mannes, brüchig und ohne Kraft. Seine Zunge lag wie ein geschwollener Klumpen aus Schmerz in seinem Mund. Er hatte Durst.
Syrr richtete sich für einen Moment auf und sah zur Tür zurück. Für die Dauer eines Lidzuckens erschien ein angespannter Ausdruck auf ihren Zügen. Dann sah sie wieder auf ihn herab.
Als sie weitersprach, flüsterte sie, und redete sehr schnell. »Talin und ich sind nicht allein«, sagte sie hastig. »Sag niemandem, wer du bist, Skar. Sie werden dich töten, wenn du dich zu erkennen gibst. Hast du das verstanden?«
Skar verstand ganz und gar
nicht,
aber er dachte an den Satai, der bei den Quorrl gewesen war, und an Syrrs und Talins völlig unverständliche Reaktion, als er sich zu erkennen gegeben hatte. Er nickte.
»Gut.« Syrr seufzte erleichtert. »Merke es dir. Ich erkläre dir alles später. Aber es ist wichtig — auch für Talin und mich.«
Skar versuchte ihr zuzulächeln — er war nicht sicher, ob es ihm auch gelang, aber Syrr erwiderte sein Lächeln — stemmte sich umständlich auf die Ellbogen hoch und schlug die Decke zur Seite. Bedachte er, wie elend er sich fühlte, ging es sogar überraschend gut. Es gab zwar kaum einen Quadratzoll auf seinem Körper, der
nicht
weh tat, aber die Schmerzen waren erträglich, und sogar seine Schwäche war nicht mehr so entsetzlich wie am Abend zuvor. Der Schlaf hatte ihm gut getan.
Dann sah er, daß es nicht nur der Schlaf gewesen war. Jemand hatte ihn gesäubert und die zahllosen Schnitte und Risse in seiner Haut verbunden. Sein rechtes Bein war geschient; ungeschickt mit einem Stock und Streifen, die offenbar aus einem alten Sack herausgerissen worden waren, aber sehr fest. Er hatte kaum noch Schmerzen. Aber er spürte das Bein auch kaum mehr. Vom Knie abwärts war es taub. Als er versuchte, die Zehen zu bewegen, ging es nicht.
»Hast du... mich verbunden?« fragte er mühsam.
Syrr schüttelte den Kopf, zog die Decke wieder über seinen Leib und drückte ihn mit sanfter Gewalt in die Kissen zurück. »Nein. Ich dachte...« Sie brach ab, als hinter der Tür Schritte polterten. Skar drehte den Kopf in den Kissen und sah an ihr vorbei.
Die Tür wurde unsanft aufgestoßen, und ein breitschultriger, in schmutzige Felle gehüllter Mann von vielleicht fünfzig Jahren betrat den Raum. Wie Syrr sah er müde aus. In seinem Haar, seinen buschigen Brauen und dem kurzgeschnittenen schwarzgrauen Bart klebte Schnee. Skar spürte die Kälte, die er mit ins Haus brachte, selbst unter seiner Decke.
Syrr stand auf und trat einen Schritt zur Seite, um dem Fremden Platz zu machen. Der Blick, den sie Skar dabei zuwarf, war fast beschwörend. Er hatte das sichere Gefühl, daß sie Angst vor dem Fremden hatte. »Das... das ist Enwass«, sagte sie
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