Enwor 6 - Die Rückkehr der Götter
dumm wie groß. Und sie sind
sehr
groß.« Diesmal huschte ein amüsiertes Lächeln über die Lippen des Fremden. Aber das Mißtrauen in seinem Blick erlosch nicht. »Warum hast du es getan?« fragte er. »Nimm an, ich glaube dir-warum solltest du einen Satai und drei Quorrl angreifen, mit bloßen Händen?«
Skar fuhr auf. »Zum Teufel, weil ich keine andere Wahl hatte!« fauchte er. »Was soll dieses Verhör? Wenn du mit Syrr gesprochen hast, weißt du auch, wie sie mich fanden. Was hätte ich tun sollen? Nackt durch den Schnee bis nach Denwar laufen?« »Denwar?« hakte Enwass nach. »Du wolltest nach Denwar?« »Ich wollte —« Skar brach ab, richtete sich auf, so weit es sein verletztes Bein und Enwass zuließen, und starrte ihn finster an. »Was soll das eigentlich?« fauchte er. »Du behandelst mich wie einen Feind! Ich weiß ja nicht einmal, wer du bist!«
»Mein Name ist Enwass«, sagte der Fremde ruhig. »Und es wäre besser, du würdest meine Fragen beantworten, Skar.« Er legte die Hand auf das Schwert an seiner Seite. »Besser für dich. Ich müßte dich nämlich sonst töten.«
»Ach?« sagte Skar wütend. »Und warum?«
»Weil ich es mir nicht leisten kann, jemanden am Leben zu lassen, von dem ich nicht weiß, wer er ist«, antwortete Enwass grob. »Weiß ich, ob du nicht zu ihnen gehörst? Vielleicht ist das alles hier eine Falle.«
»O ja, sicher«, antwortete Skar spöttisch. »Du hast mich durchschaut, Enwass. Ich gebe es zu. In Wahrheit, mußt du wissen, bin ich ein verkleideter Satai. Ich habe meinen Kameraden erschlagen und die beiden Quorrl, um mir euer Vertrauen zu erschleichen. Und dann habe ich mir noch selbst das Bein gebrochen und mich hierher geschleppt, weil ich nämlich wußte, daß du hierherkommen und mich finden würdest!«
Einen Moment lang starrte Enwass ihn voll unverhohlener Wut an. Und dann geschah etwas Seltsames: Seine Anspannung fiel von ihm ab, er seufzte, senkte den Kopf ein wenig und fuhr sich nervös mit der Hand über das Kinn. Und plötzlich begriff Skar, daß seine Härte nichts anderes als Angst war.
»Vermutlich hast du recht, Skar«, sagte er leise. »Ich war wohl ein wenig zu hart. Es... es tut mir leid. Aber du mußt mich verstehen. Wir sind seit drei Monaten auf der Flucht. Viele von uns sind tot. Und jetzt, wo wir uns der Grenze nähern...« Er lächelte nervös. »Wir können einen Mann wie dich gebrauchen«, fuhr er fort, in verändertem, fast — aber eben nur
fast —
freundlichem Tonfall. »Aber wir müssen vorsichtig sein.«
»Einen Mann wie mich ?« Skar verzog schmerzhaft die Lippen.
»Einen Krüppel?«
»Dein Bein wird heilen«, erwiderte Enwass. »Wir haben gute Heilkräuter, und du bist stark. Es wird eine Woche dauern, bis wir die Grenze erreichen, vielleicht länger, denn wir können nur nachts reisen. Du wirst laufen, bis dahin.«
»Und wenn nicht?«
»Du wirst es müssen«, sagte Enwass, als wäre dies Erklärung genug. Dann fügte er hinzu: »Wenn wir dich am Leben lassen, heißt das.« Wieder legte er die Hand auf das Schwert. Sein Ton war viel freundlicher geworden, aber die Entschlossenheit in seinem Blick hatte nicht nachgelassen. Skar begriff, daß er ihn trotz allem töten würde, wenn er nur eine einzige falsche Antwort gab. »Also?« sagte er. »Wie kommt es, daß du einen Satai und die Quorrl erschlagen hast, Skar? Wer hat dich gelehrt, so zu kämpfen?«
»Du hast recht«, gestand Skar. »Ich... habe das Kämpfen von einem Satai gelernt.«
»Einem Satai?« Enwass versteifte sich.
»Ich war mit einem befreundet«, erwiderte Skar ruhig. »Sein Name war Del — kennst du ihn?«
Enwass schüttelte den Kopf. »Befreundet, sagst du?«
Skar nickte. Er versuchte, seine Enttäuschung zu unterdrük-ken. Es war närrisch gewesen, im Ernst zu erwarten, daß Enwass den Namen Del kannte — es gab Tausende von Satai, und Enwor war groß. Enwass' Kopfschütteln bedeutete nicht, daß er nicht mehr am Leben war. Wenigstens redete sich Skar das ein. »Ja«, antwortete er. »Aber das ist lange her. Lange bevor...« Er sprach nicht weiter. Er konnte es nicht, denn er hatte keine Ahnung, bevor
was.
Aber seine Rechnung ging auf. Das Lächeln auf Enwass' Lippen wurde schmerzlich. »Ja«, sagte er, »das verstehe ich. Es tut weh, ich weiß.« Er seufzte. Dann, ganz plötzlich, änderte sich sein Gesichtsausdruck.
»Erzähle weiter«, verlangte er. »Wie bist du in den Tempel gekommen?« »Wie alle, die die Hilfe der Gesichtslosen
Weitere Kostenlose Bücher