Enwor 7 - Das schweigende Netz
nicht einmal die Spur einer Chance gelassen hatte, irgend etwas an seinem Verlauf zu ändern. Er versuchte vergeblich, sich in Titchs Lage hineinzuversetzen; nachzuempfinden, was ein Mann fühlen mochte, der dazu verurteilt war, vierzigtausend seiner Brüder in den sicheren Tod zu führen, ganz egal, wie gut oder schlecht er seine Aufgabe erfüllte. Er konnte es nicht. Der Gedanke war einfach
unvorstellbar.
»Hat... Del davon gewußt?« fragte er stockend. »Als er euch rief, meine ich?«
»Del?« Titch überlegte einen Moment und machte dann eine abgehackte Bewegung, die Zustimmung wie Verneinung sein konnte. »Niemand weiß davon«, sagte er. »Vielleicht der Rat der Satai. Vielleicht der Bote, den sie zu den Goldenen geschickt haben. Aber ich glaube es nicht. Es ist kein Geheimnis, aber kaum einer weiß es. Es interessiert niemanden. Wir sind ja nur Quorrl.«
Skar war plötzlich sehr froh, den Quorrl nicht unterbrochen zu haben, um ihm zu versichern, daß auch er sein Geheimnis wahren würde, wie er es ursprünglich vorgehabt hatte. Andererseits — was hätte es denn auch geändert. Titch war ein Quorrl, trotz allem, und wahrscheinlich würden sie nie eine Übereinstimmung erzielen.
Plötzlich hatte er das absurde Bedürfnis, Titchs Freund zu sein. Er wußte, daß das unmöglich war, jetzt erst recht, aber etwas in ihm sehnte sich danach. Einfach danach,
überhaupt
einen Freund zu haben, und wenn es nur ein fischgesichtiger Quorrl war, der sich in Selbstmitleid übte.
Aber er sprach nichts von alledem aus, sondern ritt ein wenig schneller und tat so, als würde er sich ganz auf den Weg konzentrieren. Titch und seine Quorrl fielen ein Stück zurück, hielten dann aber immer denselben Abstand.
Zumindest der Teil seiner Befürchtungen, der ihn daran hatte zweifeln lassen, die richtige Stelle wiederzufinden, behielt unrecht. Er fand sie am Flußufer auf Anhieb, und er fand auch die Spur, die ihn letztlich zu der toten
Errish
geführt hatte. Sie war so frisch wie vor zwei Tagen; weder der Schnee noch das einsetzende Tauwetter hatten sie verwischt. Und er fand auch den Felsen wieder, obgleich es diesmal keinen Schatten gab, der ihn lotste. Es war, als hätte sich jeder Fußbreit Boden unauslöschlich in sein Gedächtnis eingebrannt, obgleich er noch vor Augenblik-ken gedacht hatte, wie ähnlich sich doch die zahllosen kleinen Felstäler und —schründe waren. Sie hatten die Pferde am Fluß zurückgelassen, und nach kaum fünf Minuten standen sie vor dem zyklopischen Findling, auf dem Skar auf den
Daij-Djan
und die Tote getroffen war.
Diesmal brauchte er nur kurze Zeit, um ihn zu besteigen, denn es gab keinen Grund mehr, vorsichtig zu sein. Titch sprach kein einziges Wort mit ihm, aber er kletterte kraftvoll und überraschend geschickt neben ihm her und erreichte das winzige Plateau fast im selben Moment wie er. Skar war sich nicht sicher —das hieß: Eigentlich war er es doch, er verstand es nur nicht —, aber für einen Moment glaubte er ein erschrockenes Zucken über das Gesicht des Quorrl huschen zu sehen. Der
Daij-Djan
war nicht da.
Natürlich nicht, du Narr!
wisperte eine Stimme hinter seiner Stirn.
Was hast du erwartet? Daß er es sich hier bequem gemacht
und auf dich gewartet hat, um ein wenig mit dir zu plaudern?
Er vertrieb den Gedanken, wartete, bis Titchs Begleiter einer nach dem anderen zu ihnen hinaufgestiegen waren und deutete dann auf die Tote. »Das ist sie«, sagte er überflüssigerweise. Titch musterte die verendete Daktyle und ihre bizarre Reiterin einen Moment lang sehr aufmerksam, dann machte er eine befehlende Geste zu seinen Kriegern.
»Zieht ihr die Kleider aus«, gebot er. »Wir nehmen alles mit. Auch den Sattel und was sie sonst noch bei sich hat.«
Die Quorrl zögerten. Titch wiederholte seinen Befehl im zischelnden Idiom seines Volkes, und diesmal setzten sich die Krieger gehorsam in Bewegung. Behutsam hoben sie die Tote vom Rücken des Drachenvogels herunter und begannen, sie zu entkleiden. Wie fast immer in letzter Zeit übernahmen Titchs Quorrl die Arbeit, während sich Skar darauf beschränkte zuzusehen, aber diesmal gab es nichts in ihm, was sich dagegen gesträubt hätte — trotz der Kälte waren sowohl die Daktyle als auch ihre Reiterin bereits teilweise in Verwesung übergegangen, und sein Ekel erwies sich einfach als stärker als sein Gewissen. Der Geruch war entsetzlich, und die
Errish —
obgleich sie einmal eine schöne Frau gewesen sein mußte — bot
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