Enwor 8 - Der flüsternde Turm
allergrößten Teil des tödlichen Staubes aus der Stadt gespült... Das entstellte Gesicht der sterbenden
Margoi
tauchte vor ihm auf, und er schauderte. Allein dafür würde er sie vernichten, das schwor er sich. Nicht dafür, daß sie sie getötet hatten, sondern für die Art und Weise,
wie
es geschehen war. Der Tod war ein Teil der Natur, den Skar schon immer akzeptiert hatte, selbst als er noch kein Krieger und später Satai war. Und auch der gewaltsame Tod war ihm nicht fremd; er hatte ihn oft genug selbst gebracht. Aber dieser Staub, der Tausende von Menschenleben in einer Sekunde auslöschte und die, die ihm entkamen, bei lebendigem Leibe verfaulen ließ, das war —
Nur konsequent, Bruder,
flüsterte eine lautlose Stimme in ihm.
Sie kämpfen mit den Waffen, die sie beherrschen, so wie du mit deinen. Was ist falsch daran?
Aber es
war
etwas Falsches an diesem Gedanken, etwas entsetzlich Falsches und Böses. Skar wußte noch nicht genau, was — oder vielleicht doch, er wußte es, aber es war ihm — noch — nicht möglich, es in Worte zu fassen — aber er dachte auch nicht daran, jetzt auch noch mit dieser lautlosen Stimme in seinem Inneren zu
diskutieren,
die ihn seit seiner Geburt quälte und ihn manchmal zwang, Dinge zu tun, die er nicht tun wollte. Seinen
Dunklen Bruder
hatte er sie genannt, verjähren, in einem anderen Leben und einem Anflug von Spott und bitterer Selbstironie und lange, bevor er auch nur ahnte, was das böse Flüstern in seinen Gedanken
wirklich
zu bedeuten hatte. Damals hatte er nicht gewußt,
wie
entsetzlich richtig dieser Name war.
Seit zwei Wochen wußte er es.
Und manchmal fragte er sich, wie er mit diesem Wissen überhaupt noch leben konnte.
»Skar?« Kiinas Stimme drang nur undeutlich durch das Prasseln des Regens, obwohl sie so dicht neben ihm ritt, daß sein Bein manchmal ihren Sattel berührte. Skar sah sie an, behielt aber dabei trotzdem den Weg im Auge, obwohl er wußte, daß seine Angst unbegründet war: die Pferde würden sehr viel besser als er darauf achten, der Steilküste nicht zu nahe zu kommen.
»Ja?«
»Die Quorrl!« sagte Kiina zögernd. »Wohin gehen sie?«
Skar runzelte die Stirn.
Was sollte diese Frage? Kiina wußte die Antwort so gut wie er.
Trotzdem sagte er laut: »Nach Norden.« »Und du gehst mit ihnen? Du wirst tun, was... die
Margoi
dir gesagt hat?«
»Ich hätte es sowieso getan«, antwortete Skar. »Aber jetzt erst recht.« Er ahnte, warum Kiina Fragen stellte, deren Antworten sie seit zwei Wochen kannte. Besorgt fragte er sich, was er sagen sollte, wenn sie die Frage stellte, die er
befürchtete.
Was sie in genau diesem Moment tat. »Nimmst du mich mit?«
Er seufzte. »Jetzt nicht, Kiina- bitte. Laß uns später darüber reden. Ich... will nicht denken.« Das entsprach sogar der Wahrheit. Sie hatten auf dem Weg durch das unterirdische Labyrinth kein Wort miteinander gewechselt, und nicht nur aus Schwäche. Er
wollte
nicht wissen, was die Vernichtung Elays und der Errish für ihre weiteren Pläne bedeutete, nicht jetzt. Er war einfach erschöpft; auf eine Art, die Kiina nicht verstehen würde. Er wollte für ein paar Augenblicke so tun, als hätte sich nichts geändert. »Aber ich muß es wissen«, beharrte Kiina.
»Bevor
wir die Quorrl erreichen.«
»Du weißt, daß es nicht geht«, antwortete Skar ausweichend. »Titch würde es nicht zulassen. Ganz davon abgesehen, daß es zu gefährlich ist —«
»Für ein kleines Mädchen wie mich?« unterbrach ihn Kiina aufgebracht.
Skar dachte nicht daran, auf ihren aggressiven Ton einzugehen oder sich mit ihr zu streiten.
»Auch für einen alten Satai wie mich«, antwortete er ungerührt. »Meine Chancen, zurückzukommen, sind nicht sehr gut. Kein Mensch hat jemals das Land der Quorrl betreten. Jedenfalls keiner, der zurückgekommen wäre, um davon zu berichten.« Was nicht ganz der Wahrheit entsprach. Aber er war viel zu müde, um sich auf langatmige Erklärungen einzulassen.
»Es gibt keinen sicheren Ort mehr auf Enwor«, antwortete Kiina. »Das hast du selbst gesagt.«
Skar resignierte. Er hätte hundert passende Ausreden gehabt, aber er wußte auch, daß Kiina keine von ihnen gelten lassen würde. Sie erwachte langsam aus ihrem Schock, aber sie war noch lange nicht in dem Zustand, vernünftig mit ihm zu diskutieren. So wählte er die einfachste Lösung und sagte noch einmal: »Titch läßt es nicht zu.«
»Titch läßt es nicht zu!« äffte Kiina ihn nach. »Und was wird er zulassen,
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