Enwor 8 - Der flüsternde Turm
flüsterte er. »Aber ich fürchte es. Wahrscheinlich. Vielleicht wird es nur stärker, weil wir uns ihrer Heimat nähern. Aber vielleicht gehört es auch dazu.«
Es gab kein
vielleicht.
Skar wußte, daß Titch hundertprozentig recht hatte. Was ihre Gedanken vergiftete, das war genauso Teil jenes unvorstellbaren Verteidigungsmechanismus, den ihre Vorfahren erschaffen hatten, wie der
Dronte,
das
Netz
und die
Ultha
und alle anderen Schrecken, die noch auf sie warten mochten. Eine Waffe, die nicht greifbar, dafür aber um so fürchterlicher war, denn sie zerstörte ihre Seelen. Vielleicht war es ihr letzter, verzweifelter Versuch gewesen, damals in ihrem unerbitterlichen Kampf gegen die wahren Herrscher dieser Welt: eine Waffe, die
Krieger
aus Männern und Frauen und Kindern machte.
»Aber das ergibt keinen Sinn«, sagte Titch auf seine gewohnte, pragmatische Art. »Es vernichtet euch, nicht uns.«
Skar antwortete nicht, aber er wußte, daß Titch die Antwort so gut kannte wie er. Es ergab sehr wohl Sinn, denn es brachte sie dazu, die Quorrl zu hassen.
»Es ergibt auch keinen besonderen Sinn, wenn wir weiter hier bleiben«, sagte er, nur um das Thema zu wechseln. »Besorg' dir etwas zum Anziehen, und dann weck' diese Schlafmützen auf. Ich habe keine Lust, noch eine Nacht in diesem Loch zu verbringen.« Titch lächelte pflichtschuldig, und er versuchte sogar, seine grobschlächtigen Gesichtszüge zu etwas zu verziehen, das den Eindruck erweckte, daß er auf Skars scherzhaften Ton einging. Aber sein Blick blieb ernst, fast — nein, dachte Skar, nicht nur
fast,
sondern
ganz eindeutig —
besorgt. Trotzdem wandte er sich nach einer Weile gehorsam um und bückte sich nach den Kleidern, die Skar Jarr am vergangenen Abend ausgezogen hatte.
Skar sah ihm einen Moment schweigend zu, dann wandte er sich um und ging wieder zum Ausgang der Höhle zurück. Sein Blick suchte das Lager der
Errish,
und er begriff mit schmerzhafter Deutlichkeit, daß sie noch andere Feinde hatten als seine Gedanken. Ganz konkrete und sehr faßbare Feinde, von denen zwei wie riesige schwarze Vögel mit zusammengefalteten Schwingen auf den Felsen unter ihnen saßen, so nahe, daß er sich zum wiederholten Male fragte, wieso sie nicht längst auf den Gedanken gekommen waren, die Höhle noch einmal und gründlicher zu durchsuchen.
Er fuhr sich mit beiden Händen durch das Gesicht, blinzelte ein paarmal, um die Tränen fortzubekommen, die ihm das ungewohnt grelle Tageslicht in die Augen trieb, und spähte konzentriert nach unten. Bis auf die beiden schlafenden Daktylen schien das Lager der
Errish
verlassen zu sein. Er konnte das grob geformte Oval aus Felsen nur zur Hälfte einsehen, aber das Feuer war heruntergebrannt und erloschen, und von Anschis Mädchen war keine Spur mehr zu erblicken. Während der letzten Stunden der vergangenen Nacht hatte die Luft über den Bergen von den Flügelschlägen der Daktylen nur so geschwirrt, denn Anschis Reiterinnen waren mit dem ersten Grau der Dämmerung in alle Richtungen ausgeschwärmt, um ihn zu suchen. Jetzt war es fast unheimlich still. Die beiden riesigen Drachenvögel dort unten schienen zu schlafen. Aber ihre Reiterinnen sonderbarerweise auch.
Skars Blick tastete über das Gewirr von Schatten und bizarren Felsformen, die das Lager der
Errish
umgaben. Wäre
er
dort unten gewesen, dann hätte er sich eine Deckung gesucht und in aller Ruhe abgewartet; das Vorgebirge bot ausreichend Verstecke, um eine ganze Armee zu verbergen. Aber gleichzeitig spürte er, daß es nicht so war. Skar wußte stets, wenn er beobachtet wurde. Es war ein Teil seiner Ausbildung gewesen, Blicke einfach zu spüren, und er hatte diese Fähigkeit im Laufe der Jahre sorgsam weiterentwickelt. Sie hatte ihm mehr als einmal das Leben gerettet.
Jetzt fühlte er... nichts.
Nach einer Weile trat Titch wieder neben ihn. Sekundenlang blickte er genau wie Skar konzentriert auf das verlassene Lager der
Errish
herab, dann machte er eine auffordernde Handbewegung. »Vielleicht verrätst du
mir jetzt,
was passiert ist?«
»Warum erzählst
du
mir nicht einfach, was los war — und ich steuere den Rest bei?« schlug Skar vor.
Titch seufzte. »Ihr Menschen redet zu viel, weißt du das ?« fragte er. Er machte eine unwillige Geste, als Skar antworten wollte. »Aber gut — es ist ohnehin nicht viel. Du warst nicht lange fort, gestern abend, als der Posten ein verdächtiges Geräusch hörte. Ich wollte hingehen, aber ich kam nicht einmal einen
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