Enwor 8 - Der flüsternde Turm
Feuer und Wasser gemeinsam existieren konnten. Er spürte genau, daß Titch ihn in diesem Moment haßte, und auch er haßte den Quorrl, fühlte für eine einzige, aber fürchterliche Sekunde nichts anderes als den Wunsch, seine Pranke beiseite zu schlagen und das Schwert zu ziehen, um ihn zu
(Töte! wisperten seine Gedanken. Vernichte ihn! Töte! Töte! Tötet)
zu schlagen, ihn niederzuwerfen und diesem verdammten Tier zu zeigen, wer der wahre Herr hier war, wie wenig —
Seine Hand packte Titchs Klaue und umklammerte sie mit aller Macht, aber er merkte es nicht einmal. Die Panzerschuppen des Quorrl knirschten unter seinem Griff. Blut quoll unter Skars Fingernägeln hervor, und die Kraft seiner Finger mußten selbst Titch Schmerzen zufügen, denn die Augen des Quorrl zogen sich überrascht zusammen, aber Skar registrierte von alledem kaum etwas.
Töte!
schrien seine Gedanken.
Vernichte ihn! Zerstöre! Töte!
»Nein!« stöhnte Skar. Er wankte. Titchs Finger lösten sich von seiner Schulter, aber Skar ließ seine Hand nicht los, sondern drückte im Gegenteil noch fester zu, bis der Schmerz in seinen eigenen Fingern schier unerträglich wurde.
Vielleicht war er es, der ihn rettete. Skar hatte gelernt, selbst Schmerz zu etwas Positivem zu machen, ihn zu nutzen, sich an ihn zu klammern wie an ein Rettungsseil, statt vor ihm zu fliehen, wie ihm seine Instinkte befehlen wollten. Es war nicht das erste Mal, daß er sich wie an einer Nabelschnur aus Agonie in die Wirklichkeit zurückhangelte, nur, daß er jetzt nicht gegen Bewußtlosigkeit oder ihren dunklen Bruder Tod ankämpfte, sondern gegen etwas Schlimmeres, gegen den Wahnsinn, mit dem die Magie der
Sternengeborenen
seinen Geist in etwas Fremdes, unsagbar Fremdes und Mörderisches verwandeln wollte.
Er taumelte, fiel auf die Knie und preßte die blutende Hand gegen den Leib. Titch wollte abermals nach ihm greifen, und Skar schlug seine Hand beiseite, obwohl er spürte, daß der Quorrl ihm nur helfen wollte. »Nicht«, stöhnte er. »Faß mich... nicht an.«
»Was ist mit dir?« fragte er alarmiert.
Der Schmerz in Skars Hand ebbte ganz allmählich ab, und im gleichen Maße wurden die Wogen aus roter Wut flacher, die seinen Geist zu verschlingen drohten. Trotzdem blieb er minutenlang am Boden hocken, die Hand zur Faust geballt, so fest er konnte, so daß das Blut weiter aus seinen zerbrochenen Fingernägeln lief und der Schmerz immer wieder neu aufloderte, bis er es wagte, sich ganz allmählich zu entspannen; aber vorsichtig, behutsam und jederzeit auf einen neuen, heimtückischen Angriff seiner eigenen Gedanken gefaßt.
Titch sah ihn voller Mißtrauen an, als er sich nach einer Weile aufrichtete und gleich darauf erschöpft gegen die Wand sinken ließ. Wie fast immer in letzter Zeit, wenn er sich einer großen körperlichen Anstrengung ausgesetzt hatte, wurde ihm erst schwindelig und dann schlecht, aber diesmal wehrte Skar sich nicht dagegen, denn die Übelkeit erstickte auch gleichzeitig die Wut, die noch immer wie ein kleines rotes Raubtier in einer Ecke seiner Gedanken nistete.
»Was war das?« fragte Titch.
Skar zuckte mit den Schultern und wollte einfach den Kopf schütteln, aber dann tat er es nicht. »Nichts«, sagte er spöttisch.
»Ich hatte nur Lust, dich ein bißchen umzubringen.«
Titchs Stirnmnzeln vertiefte sich, aber der Quorrl schwieg.
»Es sind... die Träume«, fuhr Skar fort, stockend, mit trockener Zunge, die seinem Willen nicht mehr richtig gehorchte, als gäbe es da eine Macht in seinem Inneren, die verhindern wollte, daß er dem Quorrl alles erzählte. Aber er mußte es. Vielleicht war der Moment nicht mehr fern, in dem er Hilfe brauchte, um mit dem Ungeheuer fertig zu werden, dessen Embryo die
Sternengeborenen
in seinen Geist gepflanzt hatten. »Es ist dasselbe, was Anschi passiert ist«, sagte er. »Und Kiina und den
Errish
in Elay — und vermutlich auch dem Rest der Welt, Titch. Es wird... stärker.«
»Du meinst, du spürst es jetzt auch schon, wenn du wach bist.«
Skar nickte. Die ungeheure Tragweite dessen, was er gerade selbst ausgesprochen hatte, ließ ihn schaudern.
Wie lange noch?
dachte er.
Wie lange würde es noch dauern, bis ganz Enwor in einem gewaltigen Taumel aus Blut und zielloser Gewalt versank?
»Es ist ein Teil von alledem, nicht wahr?« Titch machte eine weit ausholende Handbewegung, und Skar nickte abermals, zuckte dann mit den Schultern und schüttelte schließlich hilflos den Kopf. »Ich weiß es nicht«,
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