Enwor 9 - Das vergessene Heer
begutachtete ihn mit schräggehaltenem Kopf. »Deine Quorrl-Freunde haben dich ganz schön zugerichtet«, sagte sie. »Hast du Schmerzen?« »Würde es dich zufriedenstellen, wenn ich
ja
sage?« gab Skar zurück.
Anschi ignorierte seine Antwort. Nach einem kurzen Moment des Nachdenkens nahm sie ein weißes Tuch vom Tisch und band es zu einer Schlinge, die sie ihm über die Schulter hing. Skar wollte protestieren, als sie seinen Arm ergriff und kurzerhand hineinlegte, aber Anschi berührte nur kurz eine Stelle unterhalb seines Schulterblattes, und er stöhnte vor Schmerz auf. Anschi blickte ihn fragend an, und Skar zwängte sich ein gepreßtes
»Danke«
ab.
»Wofür?« Die
Errish
trat abermals einen Schritt zurück und maß ihn mit einem langen, kopfschüttelnden Blick. »Du hast Glück, daß du noch lebst, weißt du das?«
Etwas war an dieser Frage nicht so harmlos, wie es klingen sollte, das spürte Skar. Er fragte sich, wieviel Anschi von dem wußte, was
wirklich
geschehen war. Und auf welcher Seite sie stand. Er zuckte nur mit den Achseln.
Anschi wirkte enttäuscht, hatte sich aber gut genug in der Gewalt, keine weitere Frage zu stellen, sondern sich für die nächsten Sekunden damit zu beschäftigen, so zu tun, als sortiere sie ihre Utensilien auf dem kleinen Tisch neben Skars Lager. Sie war eine gute Schauspielerin; aber nicht gut genug, Skar täuschen zu können. Er war plötzlich sicher, daß sie nicht hier war, um sich um sein Wohlergehen zu kümmern; abgesehen von allem anderen hätten Ian und seine Maschinen das wahrscheinlich ungleich besser gekonnt als sie. Sie war eine
Heilerin,
Ian ein
Arzt.
Und Skar begann allmählich zu begreifen, daß das ein größerer Unterschied war, als er bisher auch nur geahnt hatte. »Was ist passiert?« fragte er.
Anschi zuckte mit den Schultern und fuhr fort, Tücher und Instrumente von einer silbernen Schale in eine andere silberne Schale und zurück zu sortieren. »Ich weiß es nicht genau«, sagte sie. »Ein paar der Quorrl haben einfach durchgedreht, denke ich. Wundert dich das?« Sie hielt für einen Moment in ihrer unsinnigen Tätigkeit inne und sah ihn abschätzend an, ehe sie ihre eigene Frage beantwortete. »Ja, sicherlich wundert dich das. Du schätzt diese Tiere ja höher ein als menschliches Leben, nicht wahr?«
Skar überhörte die Beleidigung, nicht nur willentlich, sondern
wirklich.
Anschi log; und nicht einmal besonders gut. Es waren nicht nur
ein paar Quorrl
gewesen. Irgend etwas Gewaltiges, Grundsätzliches, das diesen ganzen Turm betroffen hatte, nicht nur die Quorrl. Er fragte sich, warum sie ihn belog, und noch dazu so offensichtlich.
»Ist Kiina unverletzt?«
»Natürlich«, antwortete Anschi. »Es geht ihr sogar besser als je zuvor.« Sie lächelte spöttisch. »Du liegst in ihrem Bett.«
Skar fuhr hoch, was Anschis Lächeln noch ein wenig breiter und abfälliger werden ließ. »Wo ist sie?«
»In einem anderen Zimmer. Du kannst sie sprechen — später.
Im Augenblick schläft sie.« Anschi machte eine unwillige Handbewegung auf die Liege, von der Skar so abrupt aufgesprungen war. »Du kannst gleich hierbleiben«, fuhr sie fort. »Ian brennt darauf, dich in die Finger zu bekommen…«
»Das kann ich mir denken«, knurrte Skar.
»… um dir die gleiche Behandlung zuteil werden zu lassen wie ihr«, fuhr Anschi unbeeindruckt fort. »Sie ist wieder vollkommen gesund.«
Skar antwortete nicht, aber sein Blick schien eine sehr beredte Sprache zu sprechen, denn Anschi seufzte tief und irgendwie resignierend, fuhr sich mit gespreizten Fingern durch das Haar und machte eine müde Geste auf seinen linken Arm und das silberne Band um sein Gelenk. »Wie lange willst du das Ding noch tragen?«
»Glaubst du, daß es auf ein paar Stunden mehr oder weniger ankommt?«
»Es spielt keine große Rolle, was
ich
glaube.
Du
scheinst immer noch nicht zu glauben, daß du hier unter Freunden bist.« Sie seufzte wieder. Während sie sprach, hatte ihre Stimme jenen leicht singenden, halb resignierten Tonfall angeschlagen, in dem man mit einem störrischen Kind spricht. Sie wartete Skars Antwort auch gar nicht ab, sondern drehte sich zur Tür und machte eine einladende Geste.
»Du kannst mit Kiina reden, wenn du Angst hast, daß wir dich vergiften wollen«, sagte sie spöttisch. »Oder vielleicht
verzaubern.
«
»Sagtest du nicht gerade, daß sie schläft?« »Wir wecken sie auf.«
Skars Mißtrauen war keineswegs beseitigt; und wie auch? Er hatte erlebt, wie
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