EONA - Das letzte Drachenauge
schob sich durch ein Gesträuch rechts von uns. Ich hätte ihn dort überhaupt nicht vermutet. »Sie sind einige Hundert Schritt nordöstlich.«
»Ist alles nach Plan gelaufen?«, fragte Caido.
Der Mann nickte. »Seine Majestät erwartet uns.«
Meine Haut kribbelte. Kygo war ganz in der Nähe. Diese Neuigkeit ließ auch Ido nicht unberührt. Er straffte die Schultern, als wappnete er sich, um einem übermächtigen Feind entgegenzutreten. Und in gewisser Weise war Kygo das ja auch: Der Kaiser würde den Mann, der Sethon geholfen hatte, seine Familie zu ermorden und seinen Thron zu erobern, gewiss nicht herzlich begrüßen.
Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn und sah etwas Grellweißes an meinem Finger schimmern: Mondorchidees Schminke. Wie viel war noch immer in meinem Gesicht? Vermutlich sah ich aus wie ein geschecktes Pferd.
»Dela«, flüsterte ich und sah mich kurz zum Contraire um. »Hab ich noch immer Schminke im Gesicht?«
Sie musterte mich lächelnd und fuhr mir rasch und behutsam mit dem Daumen unter dem Auge entlang und über mein Kinngrübchen. »Jetzt ist alles weg.« Sie legte ihre Hand an meine Wange. »So schön wie immer.«
Wir kamen an zwei Wächtern vorbei, Männern von Caido, die im Unterholz fast unsichtbar gewesen waren, ehe sie aufstanden und sich rasch verneigten. Dann lichteten sich der Wald und das Gestrüpp und vor uns lag eine Wiese.
In der Mitte stand Kygo, zu uns gewandt. Zwei Männer bewachten ihn, und weitere Männer waren rings um die Lichtung postiert. Ich sah neue Gesichter: ohne Zweifel Widerständler aus der Gegend. Yuso führte uns auf die Wiese. Beglückt sah ich, dass Kygos Augen zuerst mich suchten, und in der kurzen Begegnung unserer Blicke las ich Erleichterung und Freude. Dann richtete er sein Augenmerk auf Ido, und seine Miene verhärtete sich. Auch mich fröstelte bei dem kalten Hass in Kygos Gesicht, obwohl seine strenge Schönheit mein Herz für einen Moment stocken ließ.
Die schwüle Luft hatte den Boden schon aufgeheizt und der süßsäuerliche Geruch nach zerstampftem Gras stieg um uns herum auf. Kygo hatte den Stehkragen seines Hemdes geöffnet, und der milchige Schimmer der Kaiserlichen Perle stach von dem dunklen Stoff ab wie ein königliches Banner.
Wenige Schritte vor ihm blieben wir stehen. Hinter mir fielen Dela und die Übrigen auf die Knie. Ich verneigte mich, wie es meinem Rang entsprach, doch Ido neben mir blieb aufrecht stehen. Ich blickte auf und Angst kroch mir über die Schultern. Das Drachenauge stand vor Kygo und beide Männer beobachteten einander schweigend. Sie waren fast gleich groß und sahen einander unverwandt an.
»Verbeugt Euch«, sagte Kygo.
Idos Blick sprang zu den beiden Wächtern hinter dem Kaiser. »Ihr wollt nicht, dass ich mich verbeuge.«
Was tat er da?
Kygo runzelte die Stirn. »Verbeugt Euch, Lord Ido.«
»Nein.« Ich sah, wie Ido die Fersen unauffällig in den Boden stemmte. Er wappnete sich.
Yuso hob den Kopf aus seinem Kotau. Ryko ebenso.
»Ich habe gesagt, verbeugt Euch !« Blinder Zorn hatte Kygos kalte Beherrschung ausgelöscht.
»Ich werde mich nicht vor dir verneigen, Junge.«
Ich zuckte zusammen, noch bevor ich den dumpfen Schlag hörte, mit dem Kygos Faust in Idos Gesicht knallte. Ein zweiter Schlag, diesmal in den Bauch, nahm Ido den Atem und er krümmte sich zusammen. Keuchend fiel er neben mir auf die Knie. Ein bösartiger Tritt traf ihn in die Rippen und stieß ihn in einen Kotau. Kygo ragte, die Faust noch immer geballt, über ihm auf.
»Majestät«, begann ich und richtete mich ein Stück auf, »Lord Ido ist hier, um mich zu unterweisen.«
Einen schrecklichen Moment lang dachte ich, Kygo würde einfach weiter auf ihn eintreten. Er sah mir mit von Zorn und Kummer verdüstertem Blick in die Augen. Es war wieder genauso wie bei dem Dorfgasthaus.
»Kygo, tot nützt er uns nichts!«
Zwar verschwand die Mordlust unvermittelt aus seiner Miene, doch der dunkle Kummer in seinem Blick blieb. Er nickte und trat schwer atmend zurück.
Noch immer vornübergekrümmt und mit gesenktem Kopf sah Ido zu mir. Warum hatte er Kygo herausgefordert? Er zog eine Braue hoch, doch noch bevor ich etwas tun konnte, senkte er den Blick wieder und spuckte blutigen Speichel auf den Boden.
»Lady Eona«, sagte Kygo und zwang sich, seine Stimme ruhig klingen zu lassen. »Erhebt Euch.«
Ich stand auf und schwankte, als ich Idos berechnende Miene sah.
Kygo nahm meine Hand und zog mich ein paar Schritte beiseite. Seine
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