EONA - Das letzte Drachenauge
fünfhundert Jahren –, sondern auch Kaiserlicher Naiso. Ihr seid die mächtigste Frau im Reich, Eona.«
Ich schaute zu Ido, der den Kopf in den Armen wiegte. Meine wahre Kraft hatte ich noch nicht erlangt. Aber bald würde es so weit sein.
Kygo folgte meinem Blick. »Er macht uns alle nervös. Hoffentlich ist er die Mühe wert, die Ihr auf Euch genommen habt, um ihn zu kriegen.« Er nahm ganz zart mit dem Finger eine Locke meiner schmutzig gewordenen Päonien-Frisur. Der warme Moschusgeruch seiner Haut stieg mir in die Nase wie Blumenduft. »Yuso sagt, Ihr habt Eure Rolle glänzend gespielt.«
Ich errötete. »Lord Eon zu sein, war viel einfacher – da bin ich immerhin mit weniger Haarnadeln und mit viel weniger Schminke ausgekommen.«
Er lachte. »Lady Eona gefällt mir aber viel besser.« Er ließ meine Haarlocke los und fuhr den Bogen meines Kiefers nach. »Ihr seht wirklich sehr schön aus.« Die unverhohlene Wertschätzung in seinen Augen ließ mich noch stärker erröten.
Ich konzentrierte mich auf unsere verschränkten Hände. Die Lederschnur band seinen Ring noch immer an mein Handgelenk. Obwohl ich wusste, dass ich es lieber nicht sagen sollte, konnte ich mich nicht beherrschen: »Ich hatte viel Hilfe. Von Mondorchidee.«
Seine Finger erstarrten. Ich schaute hoch und fürchtete mich fast vor dem, was ich in seiner Miene lesen würde. Sein sanftes Lächeln stieß mir einen Eissplitter ins Herz.
»Mondorchidee hat Euch geholfen? Wie geht es ihr?«
»Gut. Sie ist sehr schön«, sagte ich angespannt.
Er zog die Hand weg und rieb sich den Nacken. »Gut. Das ist gut.«
»Sie hat Euren Blutring erkannt.« Ich zwängte meinen Finger durch den von Mondorchidee gebundenen Knoten, zog mir das Leder mit einem Ruck vom Handgelenk und wickelte es auseinander. »Hier. Ich habe ihn zurückgebracht.«
Wir sahen auf den Ring, der zwischen uns baumelte.
»Behaltet ihn«, sagte er.
»Mondorchidee meinte, er bedeute Euch viel.«
»Das stimmt.«
»Euren ›Schritt ins Mannsein‹ hat sie ihn genannt«, fügte ich etwas zu scharf hinzu.
Seine Finger schlossen sich um den Ring. »Dachtet Ihr, ich hätte wie ein Mönch gelebt, Eona?«
»Natürlich nicht«, erwiderte ich, ohne von seiner Faust aufzusehen. Ich war ein Dummkopf. Das Gesetz seines Landes verlangte von ihm als Kaiser, dass er eine Frau aus königlicher Familie heiratete, dass er einen Harem unterhielt und dass er viele, viele Söhne zeugte.
»Ich habe sie seit einem Jahr nicht mehr gesehen«, fügte er hinzu.
»Das macht nichts, oder?« Eine schreckliche Erkenntnis brach über mich herein. Ich ließ das Leder los, und die beiden langen Schnüre fielen auf seine Hand. »Ich bin nicht aus königlicher Familie. Und ich werde keine Konkubine sein. Es gibt keinen Platz für mich.«
»Es gibt einen Platz für Euch, wenn ich es sage.« Er öffnete die Faust. Der Ring hatte eine dunkelrote Mulde in seine Handfläche gedrückt. »Eure Macht ändert alles. Sie hat ihre eigenen Regeln.«
Es ging immer wieder um meine Macht. Ido hatte recht.
»Und wenn ich sagen würde, Ihr könntet entweder mich haben oder meine Macht? Was würdet Ihr wählen?«
»Was ist das für eine Frage?«
»Was würdet Ihr wählen?«
»Das ist keine echte Wahl, Eona – Eure Macht ist ein Teil von Euch.«
Ich hob das Kinn. »Welches von beiden, Kygo? Sagt es mir!«
Seine Lippen wurden schmal. »Ich würde Eure Macht wählen.« Ich rückte von ihm weg, doch er fasste mich an der Schulter. »Ich würde Eure Macht wählen, weil ich für das Kaiserreich entscheide. Ich kann niemals einfach für mich entscheiden. Ihr habt einmal gesagt, Ihr würdet das verstehen.«
»Ich verstehe vollkommen.« Ich kniete nieder, nahm seine Hand von meiner Schulter und senkte den Kopf. »Darf ich mich zurückziehen, Majestät?«
»Ihr seid mehr als nur Eure Macht, das weiß ich«, sagte er. »Eona, warum schafft Ihr ein Problem, wo keines ist?«
Ich hielt den Kopf gesenkt.
»Ihr führt Euch lächerlich auf.« Seine Stimme bekam unvermittelt etwas Verbittertes.
»Darf ich mich zurückziehen?«
Er atmete zischend aus. »Gut, dann geht.«
Ich begab mich aus dem Schutz des Baumes wieder in die Sonne, und die brennende Hitze in meinem Nacken war die einzige Wärme, die mein ansonsten eisiger Körper spürte.
Ich wollte keine Gesellschaft. Und auch den Brocken Brot, den Dela mir hinhielt, wollte ich nicht. Aber sie ging einfach nicht. Sie kauerte sich vor mich hin und nahm mir die Sicht auf mein
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