EONA - Das letzte Drachenauge
nser Ziel war die Küste. Meister Tozay hatte Sokayo ausgesucht, ein Dörfchen mit Sympathien für den Widerstand und mit einem geeigneten Hafen für unser Treffen. Auch ohne die zusätzliche Schwierigkeit von Sethons Patrouillen, die die ganze Gegend durchkämmten, war es mindestens drei anstrengende Nachtreisen entfernt.
In der ersten Nacht kauerten wir zweimal im dichten Unterholz und beteten zu den Göttern, als Truppen nur wenige Schritte entfernt an uns vorüberzogen. Und bei einem Erkundungsgang im Morgengrauen stand Yuso plötzlich vor einem jungen marodierenden Soldaten. Yusos Beschreibung der Begegnung war wie zu erwarten knapp; er hielt eine kostbare Landkarte und zwei tote Kaninchen hoch und sagte, keiner werde die Leiche finden. Die Götter schienen unsere Gebete nicht nur zu hören, sie schienen sie auch zu er hören.
Zwischen den angespannten Stunden nächtlichen Reisens und den kurzen Schlafpausen während des Tages begann Ido mich die Staminata zu lehren, eine Verbindung aus Meditation und langsamen Bewegungen, die dem Energieverlust bei der Vereinigung mit Drachen entgegenwirkt. Vor dem Staatsstreich war ich nur einmal darin unterrichtet worden, doch schon das hatte mir geholfen, die Energieflüsse in meinem Körper zu verstehen. Ido sagte, die Übungen dienten sowohl ihm als auch mir. Falls er eine Chance haben sollte, die zehn beraubten Drachen abzuwehren, während ich die Drachenkünste ausübte, müsste er das Energiegleichgewicht in seinem Körper wiederherstellen.
Schon in unserer zweiten Unterrichtsstunde wurde quälend offenbar, dass Gleichgewicht der Kern der Staminata war.
»Mondhandfläche gerader halten«, befahl Ido neben mir.
Wir waren mehr oder weniger allein – soweit man bei zwei stillen, unsichtbaren Wächtern in zehn Schritt Entfernung von Alleinsein sprechen konnte – und die Vormittagshitze hatte noch nicht eingesetzt, doch beim Ausrichten der linken Hand spürte ich, wie ein Schweißtropfen mir am Hals herablief. Ich hielt die Anfangsposition (eine trügerisch einfache Stellung mit auswärts gedrehten Handflächen, leicht gebeugten Knien und nackt in den Boden gestemmten Füßen) schon seit über einer Stunde, und meine Arme und Beine zitterten vor Anstrengung. Ido hielt die gleiche Stellung. Aus den Augenwinkeln sah ich, dass er genauso schwitzte wie ich und dass sein nackter Oberkörper nass war vor Anstrengung, wobei seine Armmuskeln allerdings nicht zu zittern schienen. Nur zwei Tage mit Reiseproviant und gelegentlichen Pausen hatten seinen erschöpften, ausgemergelten Körper fast wiederhergestellt.
»Augen geradeaus. Atmet und lasst den Geist die inneren Pfade erkunden«, sagte Ido. »Und haltet die Handfläche weiter gestreckt.«
Ich konzentrierte mich wieder auf den Jasminstrauch ein paar Schritt vor uns und wollte den Geist nach innen richten, doch ich dachte nur an den schweren Duft nach Jasmin in meinem Hals, an das juckende Schweißrinnsal am Rücken und an das Brennen, das mir die Wadenmuskeln hinaufkroch.
Und daran, wie Kygo mir die Lippen auf die Hand gedrückt hatte.
Ich schwankte und das Hereinbrechen der Welt ließ mich unbeholfen rückwärtstaumeln. Ido richtete sich auf und wirkte beim Abbrechen seiner Staminatz-Position genauso anmutig wie zu der Zeit, da er sie gehalten hatte.
»Was ist?« Er fuhr sich mit den Händen durch das verschwitzte Haar.
»Ich hab die Konzentration verloren.«
»Offensichtlich. Ich meine: Was hat Euer Geist Euch in den Weg geworfen?«
Ich schob Kygos Bild beiseite. »Das war nur der Schweiß und die Schmerzen in den Muskeln.«
»Wenigstens konzentriert Ihr Euch auf den Augenblick.« Er nahm sein Hemd, und ich sah weg, als er sich die Brust trocken rieb. »Wir hören bald auf. Wir brauchen eine Pause.«
Ich atmete erleichert auf. Wir hatten mit dem Training angefangen, sobald Yuso hatte Halt machen lassen. Die anderen schliefen oder waren für einige Stunden zur Wache eingeteilt.
Ido warf sein Hemd wieder auf den Boden. »Gebt mir Eure Hände.« Er streckte mir die Arme entgegen; an seinen Gelenken konnte man noch die Wunden von den Fesseln sehen.
Bis auf die beiden Male, wo ich ihn geheilt hatte, hatte ich Ido nie berührt. Er dagegen hatte mich angefasst, und zwar mit Gewalt.
Er sah mein Zögern. »Wenn ich etwas tue, das Euch nicht gefällt, könnt Ihr mich ja wieder zu Boden werfen.«
Das stimmte. Ich rieb mir die Hände an meinem Gewand trocken und hielt sie ihm hin. Er drehte sie nach oben und drückte
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