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EONA - Das letzte Drachenauge

EONA - Das letzte Drachenauge

Titel: EONA - Das letzte Drachenauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Goodman
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Ido zustimmend nickte. Seitdem ich ihn dazu gezwungen hatte, Dillon herbeizurufen, hatten wir nicht mehr miteinander geredet. Dela hatte mir gesagt, sein Blick folge mir überallhin, doch bisher hatte ich es geschafft, ihm nicht in die Augen zu sehen. Die intime Erfahrung des Zwangs, den ich abermals auf ihn ausgeübt hatte, steckte mir noch im Leib. Und ihm zweifellos auch.
    »Kann Lord Ido die Entwicklung dieses Zyklons nicht unterbinden?«, fragte Kygo mich. Er lehnte es ab, direkt mit ihm zu sprechen.
    Ido beugte sich vor. »Nein, Lord Ido kann ihn nicht allein aufhalten«, sagte er mit scharfem Unterton.
    Kygo wandte das Gesicht von dem Drachenauge ab und wartete auf meine Antwort.
    »Nein«, erwiderte ich schroff.
    Zu wiederholen, was alle schon gehört hatten, kam mir dumm vor, doch ich klammerte mich dankbar an diese Aufgabe, um nur den Schmerz nicht mehr zu spüren, den ich jedes Mal empfand, wenn ich Kygo ansah. Er hatte noch immer nicht bemerkt, dass ich darauf bedacht war, Abstand von ihm zu halten.
    »Wenn alles nach Plan läuft und wir bei Einbruch der Nacht an Bord gehen, wird mein Vater schneller sein als der Sturm«, erklärte Vida.
    »Dann also los«, sagte Kygo. »Wir wollen doch unser Schiff nicht verpassen.«
    Vor dem Dorf begrüßte uns ein scharfäugiger Wachposten. Mit einer entschuldigenden Verbeugung erklärte er, er habe Befehl, uns über den Klippenweg zum Haus des Dorfältesten Rito zu bringen. Wir folgten dem jungen Mann nacheinander auf einem Pfad, der eher für Ziegen geeignet war als für Menschen, und bald kam zwischen dornigem Gestrüpp die Bucht unten in Sicht – eine Sichel aus weißem Sand, auf der hier und da ein auf den Strand gezogenes Boot und trocknende Netze zu sehen waren. Ich blieb stehen, denn die Erinnerung an einen anderen weißen Strand und an eine Frau, die ihre Hand ausstreckte, schob sich vor das, was ich sah. Die Frau war meine Mutter. Beinahe hätte ich ihr Gesicht klar vor Augen gehabt. Doch schon war das Bild wieder verschwunden und hinterließ nur den Nachklang eines Gefühls in mir, und selbst dieses Gefühl war verschwommen. Ich verscheuchte eine lästige Fliege und lief den Pfad entlang, um zu Dela aufzuschließen, noch immer gefangen im samtigen Gespinst meiner Erinnerungen.
    Die Hütte des Dorfältesten Rito lag an einem Hang über der Bucht. Der kleine Holzbau war so verwittert von Wind, Regen und Salz, dass seine silbrigen Umrisse den Eindruck erweckten, er wäre aus dem grauen Meer unter ihm erschaffen worden. Die Möbel in dem einzigen Raum waren schadhaft, genau wie das Äußere, doch es duftete nach einem würzigen Fischeintopf, bei dem mir das Wasser im Munde zusammenlief und die wenigen Habseligkeiten waren ordentlich aufgeräumt. Als wir in den beengten Raum traten, verneigten sich drei alte Männer, die auf einer verschlissenen Strohmatte knieten, fast bis zum Boden: die Dorfältesten von Sokayo.
    »Ihr möget Euch erheben«, sagte Kygo.
    Die drei setzten sich steif auf. Sie hatten die dunkle, wettergegerbte Haut der Küstenbewohner, und ihre Hände waren ganz rau vom jahrzehntelangen Einholen der Netze. Der Mann in der Mitte – Rito, ihr Sprecher – hatte zudem eine scheußliche Narbe, die quer über die Wangen und über die Nase verlief. »Von der Begegnung mit einem Meeresrochen«, hatte unser junger Führer uns fürsorglich gewarnt, bevor wir die Hütte betraten. Dennoch war es schwer, nicht auf die entstellende Verletzung des Mannes zu starren.
    »Ihr seid der Älteste Rito?«, fragte Kygo. Der Mann nickte. »Wir sind dankbar für die Gastfreundschaft Eures Dorfes.«
    »Es ist uns eine Ehre, Majestät«, erwiderte Rito. Sein Blick fiel kurz auf die Kaiserliche Perle. »Wir sind Euch ebenso treu ergeben wie Eurem verehrten Vater, der nun unter den goldenen Göttern wandelt. Wir wissen, dass Ihr der wahre Erbe seines erleuchteten Throns seid.« Rito verbeugte sich und wandte sich dann an mich. »Auch Euch willkommen zu heißen, ist uns eine Ehre, Lady Drachenauge.«
    »Ihr wisst, wer ich bin?«, fragte ich.
    »Wer Ihr in Wirklichkeit seid, hat sich inzwischen weit verbreitet, Mylady – durch Aushänge an Bäumen und durch Kneipengeflüster. Genau wie die tragische Nachricht, dass Eure zehn Drachenaugenbrüder niedergemetzelt wurden.«
    Sein Blick wanderte zu Idos gefesselten Händen und dann hinauf zum Gesicht des Drachenauges. So alt Rito auch war: Die Drohung in seinem langsam wandernden Blick war fast mit Händen zu greifen. Und

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