EONA - Das letzte Drachenauge
die rote Tür auf. In der winzigen Umkleide standen nur eine Holzbank und ein weiteres Regal. Durch die zweite Tür gegenüber war Dampf aus den Bädern hereingezogen und hatte die Luft feuchtwarm und samtig gemacht. Wie von mir erbeten, befanden sich auf der Bank ein Stapel mit Waschlappen und Handtüchern, dazu ein Keramiktopf mit grob geraspelter Seife, Kämme und – wichtiger als alles andere – frische Sachen. Ich nahm das säuberlich zusammengelegte oberste Kleidungsstück vom Stapel, ein langes braunes Frauengewand aus weichem, fein gewebtem Stoff. Darunter lagen eine dazu passende knöchellange Hose und verschiedene Unterkleider. Daneben lag ein zweiter Kleidungsstapel.
»Saubere Sachen für uns beide.« Ich lächelte Vida an, die die rote Tür hinter uns schloss. »Obergewand und Hose. Endlich!«
Vida betrachtete den zweiten Stapel. »Für mich auch? Wirklich?«
Ich nickte und ihr breites, freudiges Lächeln erfüllte mich mit Befriedigung. In meiner Gegenwart strahlte sie schließlich nicht oft.
Rasch streiften wir die mittlerweile vor Schmutz starrenden Sachen ab, die wir in der Stadt bekommen hatten. Ich vermied es, Vidas nackten Körper anzusehen. Ich war schon lange nicht mehr in einem Gemeinschaftsbad gewesen. Bald fünf Jahre lang war ich wegen meines verkrüppelten Körpers unberührbar gewesen und gezwungen, allein zu baden. Ich blickte auf das Bein, das nun ganz gerade war, und strich mit der Hand über das mühelose Zusammenspiel von Knochen, Muskeln und glatter Haut an meiner Hüfte. Noch immer versetzte mich dieser Anblick in Erstaunen.
Ich nahm einen Waschlappen von dem Stapel, hielt ihn mir züchtig vor den Unterleib und nahm den Seifentopf. »Vida, du bringst die restlichen Sachen.«
Erwartungsvoll schob ich die Tür zum Badebereich auf und Hitze schlug mir entgegen. Eine lange Holzwand in der Mitte des Raums trennte den Badebereich der Frauen von dem der Männer, doch sie reichte nicht bis zum Dach und unter der hohen Decke hatte sich der Dampf zu einem Schleier verdichtet. Ganz am Ende der Trennwand lag das Bad, ein großes, in den Boden eingelassenes Becken, aus dem bleiche Schwaden in die reglose schwüle Luft stiegen.
Doch zunächst musste ich mich waschen und ich ging zu einem schmalen Trog an der Wand, vor dem einige niedrige Hocker und kleine Eimer standen. Aus einem Terrakottarohr plätscherte es ständig in das Auffangbecken und das hörte sich an wie ein kleiner Wasserfall.
Ich wählte einen der mittleren Hocker, stellte den Seifentopf daneben auf den Holzboden, nahm einen Eimer, tauchte ihn tief in den Trog und füllte ihn mit angenehm warmem Wasser.
Vida schloss die Tür zur Umkleide. »Soll ich warten, bis Ihr fertig seid, Mylady?«
Ich stellte den Eimer auf den Boden. »Nein, komm zu mir.«
Sie verbeugte sich lächelnd.
Mit den gefüllten Eimern und viel Seife machten wir uns ans Werk. Vida zog die letzten Nadeln aus meinem schweren, eingeölten Haar, und damit waren die Überbleibsel von Mondorchidees kunstvoller Frisur endgültig dahin. Dann erwies ich Vida denselben Dienst und löste die raffiniert geflochtenen Zöpfe der Färberdistel, bis die verfilzten Haare in alle Richtungen abstanden.
»Das fühlt sich gut an«, sagte Vida und massierte sich die Kopfhaut mit den Fingern. Als sie merkte, was für eine Mähne sie hatte, kicherte sie. »Ich muss aussehen wie eine Wilde.«
Ich schielte schräg nach oben, zog einen dicken Strang meiner Haare nach vorn und meinte: »Oder wie eine Verrückte«, und aus Vidas Kichern wurde ein Prusten.
Wir übergossen einander eimerweise mit Wasser und langsam löste sich der über Tage eingezogene Dreck. Ich schäumte die grobkörnige, nach Süßgras riechende Seife auf, rieb mich von Kopf bis Fuß damit ein, rubbelte mich mit einem Lappen sauber und wusch mich ab, bis das Wasser, das an mir hinunterlief, nicht mehr grau war. Neben mir tat Vida das Gleiche und summte dabei leise ein altes Volkslied, an das ich mich von der Saline her noch vage erinnern konnte. Wir summten den Refrain zusammen und lachten los, weil unsere Versionen so misstönend klangen.
»Soll ich Euch den Rücken waschen, Mylady?«
»Ja, bitte.« Ich drehte mich auf dem Stuhl ein Stück um, spürte, wie Vida sich mit einem weichen, warmen Waschlappen und mit sanftem Druck von den Schulterblättern bis zum Steißbein hinunterarbeitete, und seufzte, als meine Verspannungen sich unter ihren festen, kreisenden Bewegungen langsam lösten. Über vier Jahre war
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