EONA - Das letzte Drachenauge
ein: »Seid bloß vorsichtig. Dela ist krank vor Sorge um Euch.«
»Genau wie vor Sorge um dich.« Sein warnender Blick sagte mir, ich sollte gehen, doch in diesem Moment hatte ich keine Geduld für unnötiges Leiden. »Du bist ein Idiot, wenn du denkst, dass sie sich etwas macht aus Rang und Vermögen.«
»Ich weiß, dass das nicht so ist.«
»Liegt es also daran, dass sie körperlich ein Mann ist?«
Er stieß ein Lachen aus. »Ich bin zwischen seltsameren Paarungen aufgewachsen. Das ist nicht der Grund.«
Ich verschränkte die Arme. »Was dann?«
Er wippte auf den Füßen und ich glaubte kurz, er würde weggehen.
»Ich dürfte eigentlich nicht mehr leben«, sagte er schließlich. »Shola hat Euch erlaubt, mich dem Tod zu entreißen. Denkt Ihr, das geschah aus Mitleid?«
Ich schluckte und erinnerte mich an das Fischerdorf. Er war tatsächlich schon auf dem Weg gewesen, auf dem seine Vorfahren ihm vorausgegangen waren.
»Es hat einen Grund, warum ich hier bin«, erklärte er mit Nachdruck. »Ich kenne ihn nicht, doch es geht ohne Zweifel nicht darum, dass ich mein Glück finde. Shola hat mich gezeichnet und sie wird mich zurückfordern, wenn ich meine Rolle in diesem Spiel der Götter gespielt habe. Ich habe nicht das Recht, Dela an mich zu binden oder Pläne zu machen. Das wäre unehrenhaft.«
»Du bist hier, weil ich dich geheilt habe, Ryko. Meine Macht hat dich vom Tod zurückgebracht. Wenn jemand in deinem Leben mitzubestimmen hat, dann bin ich es.« Ich tippte mir mit dem Finger auf die Brust. »Und ich sage: Nimm das Glück, solange du kannst.«
Wenigstens einer von uns konnte glücklich werden.
»Seid Ihr inzwischen so mächtig, dass Ihr Euch zu den Göttern zählt?«, fragte er.
»Nein! Du weißt genau, dass ich das nicht gemeint habe.«
»Ihr mögt vielleicht meinen Willen beherrschen, Lady Eona, nicht aber meine Ehre. Sie ist alles, was mir geblieben ist. Alles, was ich Dela geben kann.« Er verbeugte sich steif. »Wenn Ihr erlaubt.« Ohne zu warten, wandte er sich ab und ging davon.
Ich sah, wie Dela ihr fahles Gesicht zu ihm umdrehte und ihm nachsah, während er durch das Lager schritt. So viel Unglück im Namen von Pflicht und Ehre!
Das Dorf Sokayo hatte ein Badehaus.
Es war unsinnig, über eine solche dumme Kleinigkeit zu frohlocken, doch die Nachricht von Caido, der frisch von der Erkundung des Ortes zurückgekehrt war, hob meine Laune. Bis zu der Siedlung war es nicht einmal mehr eine Stunde zu gehen, und wir hatten Zuflucht in einer Klamm gefunden, durch die ein kleiner Bach lief. Obwohl es schon später Vormittag war, beschloss Kygo, das letzte Stück Weg sofort zurückzulegen. Mir gegenüber im Kreis der gespannten Zuhörer stand Vida und auch sie lächelte, doch sie dachte dabei wohl nicht an ein heißes Bad, sondern daran, dass sie ihren Vater bald wiedersehen würde.
Und mit Meister Tozay würde meine Mutter kommen.
Während Caido mit seinem Bericht fortfuhr, rieb ich mir den alten Schweiß und den tiefsitzenden Staub in kleinen Dreckröllchen von den Armen. In dem seichten Bach hatten wir unseren Durst gelöscht und uns darin ein wenig frisch gemacht, doch nur ein langes, heißes Bad würde den Schmutz von drei Tagen anstrengendem Training und Reisen wirklich abwaschen können. Hoffentlich gab es in dem Badehaus Seife oder Waschsand. Schließlich wollte ich nicht aussehen wie eine Schlampe.
»Ich verstehe, warum Meister Tozay diesen Hafen ausgesucht hat. Er liegt geschützt und das Wasser dort ist tief«, sagte Caido. »Aber das Dorf stellt uns vor strategische Probleme; es liegt in einer Bucht zwischen Klippen und hat kaum Zugänge.«
Neben mir verscheuchte Kygo einen Schwarm hartnäckiger Fliegen. »Wie groß ist das Risiko?«, fragte er Yuso.
Der Hauptmann schüttelte den Kopf. »Nicht groß, denke ich. Die Dorfbewohner unterstützen doch den Widerstand?« Caido nickte. »Dann ist es machbar.«
»Mein Vater hat die ganze Küste kartografiert. Er kennt die Häfen genauso gut wie seine Kinder«, ergänzte Vida. »Dieser Hafen hier ist im Hinblick auf Ebbe und Flut am besten geeignet.«
Kygo wandte sich an mich. »Und der Zyklon?«
Ich sah hinauf zu dem seltsamen Himmel. Die dunklen Wolken zogen weit oben dahin, doch sie kündigten einen heftigen Sturm an mit der Gefahr von Trockenblitzen. Ein heißer auflandiger Wind hatte ringsum Schwärme von winzigen Fliegen aufsteigen lassen.
»Der ist noch zwei Tage entfernt«, erwiderte ich.
Außerhalb des Kreises sah ich, wie
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