EONA - Das letzte Drachenauge
den Einband geschlungen.
Das Dröhnen von Hufen, die rasend schnell herangaloppierten, ließ den Boden erzittern. Ich hob den Kopf und sah Kygo, flankiert von Ryko und Yuso. Die drei Pferde waren schweißbedeckt von der Anstrengung.
»Eona!« Kygo brachte sein Tier mit einem energischen Griff in die Zügel zum Stehen, saß ab und rannte zu mir. Seine Augen waren auf mich geheftet, nicht auf das Buch. Hinter ihm schwangen Ryko und Yuso sich aus dem Sattel und folgten ihrem Kaiser.
»Eona!« Ido hechtete durch das rot verspritzte Gras. »Gebt mir das Buch. Schnell!«
»Nein!« Ich stieß das Buch mit dem Unterarm aus seiner Reichweite und die Perlen zerrten es durch den Staub von uns weg.
Ido kroch hinterher. »Eona, was tut Ihr da?«
»Halt, Lord Ido!«, rief Kygo.
Ryko packte Ido am Gewand und zerrte ihn zurück. Das Drachenauge fuhr herum und schlug auf den Insulaner ein. »Eona, das ist die einzige Möglichkeit. Holt das Buch!«
Ich griff danach und meine Hand schwebte über dem schwarzen Ledereinband und den ruckelnden Perlen. Über mir zog Yuso sein Schwert. Das Zischen der aus der Scheide gleitenden Waffe drang laut durch die plötzliche Stille.
»Yuso, halte ein!«, donnerte Kygo ihn an.
Der Hauptmann zögerte, dann trat er zurück und ließ sein Schwert sinken.
Ich sah zu Kygo hoch. »Ich habe Euch versprochen, das Buch zu beschaffen. Es gehört Euch.«
»Was?« Ido warf sich, immer noch kniend, nach vorn, doch Ryko riss ihn zurück. »Seid nicht dumm, Eona! Ihr gebt ihm unsere Macht.«
Ich biss die Zähne aufeinander, hob das Buch auf und spürte das goldene Lied meines Drachen und die Kraft des Blutrings in meinem Hua wie einen Schutzschild. Langsam zog ich den Ring vom Daumen und legte ihn auf die sich windende Perlenumwickelung.
»Haltet still«, befahl ich und die Schnur kam zur Ruhe. Ryko war so erstaunt, dass er vernehmlich nach Luft schnappte.
»Eona, bitte nicht!« Ido wand sich im Griff des Insulaners. »Er wird uns seinem Zwang unterwerfen. Wir werden alles verlieren.«
Auf ein Knie gebeugt, hielt ich Kygo das Buch und den Ring auf meinen ausgestreckten Händen hin.
»Berührt das Buch nicht, Majestät«, sagte Yuso.
Kygo tat diesen Rat ab, indem er die Hand hob, und sah mir dabei unverwandt in die Augen. »Ihr gebt mir Eure Macht? Woher wisst Ihr, ob Lord Ido nicht doch recht hat?«
»Ihr habt meine Macht immer besessen, Kygo«, sagte ich. »Nun gebe ich Euch mein Vertrauen dazu.«
Er nahm mir das Buch und den Ring aus den Händen. »Ich weiß, was Euch das gekostet hat, Eona.«
Ich blickte auf den Fleck aus dunkler Asche am Boden. Das war der Ort, wo ich Dillon getötet hatte. Der Ort, wo ich die wahre Macht des schwarzen Buches gespürt hatte.
Er konnte unmöglich wissen, was es mich gekostet hatte.
Das Mädchen stellte die dampfende Waschschüssel auf den Tisch an der Zeltwand und zog sich zurück, ohne den Blick von den dicken übereinandergelegten Teppichen zu wenden. Ich fragte mich, was man ihr über mich erzählt hatte. Dass ich gefährlich war? Eine Dämonentöterin? Ich beugte mich über die Schale, atmete die feuchte Hitze ein und sah dort, wo ein dunkelblauer Fisch auf den Grund der Porzellanschüssel gemalt war, die Umrisse meines Mundes und meiner Augen gespiegelt. Ich tauchte die Hände in das heiße Wasser. Hellrote Schlieren kräuselten sich auf der Oberfläche, während schwerere schwarze Flecken sich um meine Finger drehten. Die verschlungenen Muster von Blut und Asche zogen mich in ihren Bann.
»Eona!« Dela kam mit einem Handtuch über die weichen Teppiche. »Wascht den Dreck ab. Jetzt gleich! Dann fühlt Ihr Euch besser.« Sie hatte mir bereits aus den blutigen Gewändern geholfen und sie weggeschafft, während ich in ein sauberes Hemd und in eine Hose geschlüpft war. Doch ich roch den Tod noch immer.
Ich schloss die Augen und spritzte mir Wasser ins Gesicht. Die heiße Feuchtigkeit auf meinen Lidern, auf der Nase und auf dem Mund erinnerte mich zu sehr an die Hitze des Righi. Ich richtete mich auf und der Klammergriff der Panik raubte mir den Atem.
»Holt mir kaltes Wasser! Sofort!«
Dela gab dem Mädchen einen Wink, und es eilte herbei, nahm die Schüssel und ging vorsichtig damit zum Zeltausgang.
»Hier.« Dela hielt mir das Handtuch hin. Ich wischte mir Augen und Mund ab und die raue beige Baumwolle war voll rosafarbener Flecken.
»Ich werde mich immer schuldig fühlen wegen Dillon«, sagte ich.
»Ryko hat mir erzählt, was er gesehen hat.«
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