EONA - Das letzte Drachenauge
Dillon sich los und taumelte rückwärts und die weißen Perlen legten sich wieder bleich und fest um das Buch.
Wieder schoss sengende Hitze durch mich hindurch. Ido schrie. Über uns brüllte der Spiegeldrache, und seine goldene Kraft stemmte sich gegen die Feuersbrunst und rettete mich vor deren tödlicher Gewalt.
Ein kalter, klarer Gedanke drang durch meine rasenden Kopfschmerzen. Wehr dich nicht dagegen. Nimm es an. Wie damals am Berghang. Das Buch hatte mich gewollt, nicht Dillon. Sein Wahnsinn hatte nach meinem Geist gegriffen und mir eingeflüstert, ich würde vollkommene Macht besitzen.
Wahnsinn. Es würde Wahnsinn bringen.
Aber es war besser als dieser brennende Tod.
»Komm«, schrie ich und streckte den Arm aus. »Komm zu mir.«
»Nein!«, kreischte Dillon. »Die Macht ist mein!«
Ich sah, wie die dunkle Energie sich in ihm sammelte wie eine Schlange, die sich aufrichtet, um zuzubeißen. Die weißen Perlen schnappten auf, wickelten sich von seinem Arm und sprangen auf mich los. Sie schlängelten sich durch die Luft, zogen das Buch mit sich, schlugen mit ihrem ganzen Gewicht auf mein Handgelenk und wickelten sich darum und banden das Buch an meine Haut. Macht pulsierte meinen Arm hinauf, als würde Säure durch meine Adern fließen. Dillon stürzte zu mir und zog und zerrte mit knochigen Fingern an dem treulosen Buch. Sein Gesang wurde zu einem Heulen, als die alte Macht des Buches von ihm in mich hineinfloss.
Ich atmete auf, als die mörderische Hitze verschwand. Unter mir hörte ich, wie Ido zusammensank vor Erleichterung und aufstöhnte. »Ihr habt es. Jetzt tötet ihn.«
Ich versuchte, mich auf etwas anderes zu konzentrieren als auf die Worte, die sich in meinen Verstand fraßen – dunkle Geheimnisse, die meinen Geist mit alter Macht erfüllten. Der Gesang des Righi nistete sich leise zischend auf meiner Zunge ein. Seine Macht war wie bitterer Essig, der mir den Mund ausdörrte und alle Weichheit und alle Hoffnung aussaugte. Der Gesang war in meinem Kopf, drang aus meinem Mund, zog Kraft aus dem Hua ringsum – aus der Erde und aus der Luft und von den Drachen – und verwandelte sich in ein zerstörerisches Feuer, das sich meinem Willen beugte. Ich hörte den fernen Aufschrei des blutroten Tieres, doch seine Macht war mein. Alle Macht war mein.
Dillon zerrte an dem Buch und jaulte vor Wut. Mein Gesang wurde schneller und ließ meine Macht immer heißer werden, und jedes geflüsterte Wort schürte die sengende, auf Dillons Vernichtung zielende Energie noch mehr. Er bog sich schreiend zurück, doch ich sang weiter sein Todeslied.
Die Hände an den Kopf gepresst, sank er auf die Knie. Blut rann ihm aus der Nase, aus den Ohren, aus den schwarzen Augenhöhlen. Die Worte fielen aus mir in ihn und errichteten dort einen Feuerofen der Vernichtung. Ich war dabei, ihn zu töten, und ich konnte nicht aufhören.
Hilf mir, betete ich. Hilf mir, Kinra. Doch es war zu spät.
Dillons Schrei brach ab und sein Körper zerfiel jäh in einen sengenden Wind voll dunkler Asche und rotem Dunst, der über mein Gesicht fegte als feuchter, sandiger Tod.
Ich schrie; das Entsetzen schlug wie mit ledernen Schwingen nach meinem Geist, doch die bitteren Worte flossen immer weiter über meine Lippen. Ido rollte sich von mir weg, kroch über den Boden und röchelte vor Schmerz.
Ein weiteres Lied stieg in mir auf und zog hell und kühl an meinem Verstand – ein Kontrapunkt zu den Worten des Buches. Ich kannte dieses Lied, ich hatte seine heilende Wirkung mit dem Spiegeldrachen erlebt, ich spürte, wie seine goldene Harmonie durch das bittere Fauchen des Gan Hua drang und dessen dunklen Griff lockerte. Ich brach in Schluchzen aus, als der schreckliche Gesang in meiner Kehle und in meinem Geist erstarb. Ich grub die Finger unter die Perlen, und meine Nägel bohrten sich ins Fleisch. Mit letzter Kraft riss ich mir das Buch vom Arm und schleuderte es zu Boden. Es landete im Staub und die Perlen bäumten sich auf wie eine verwundete Schlange.
Ich fiel auf die Knie, übergab mich wieder und wieder, und würgte so meine Angst in die Erde. Ich hatte Dillon getötet. Die grässliche Tat klebte mir noch nass im Gesicht und an den Händen, und im Mund hatte ich noch den bitteren Geschmack des Todes. Vielleicht würde er nie mehr weggehen.
Nahebei hockte Ido sich auf die Fersen und betrachtete den Boden ringsum. »Wo ist das Buch?«, fragte er heiser. »Habt Ihr es?«
Ich nickte mühsam. Es lag neben mir und die Perlen waren um
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