EONA - Das letzte Drachenauge
stellte die Lampe auf den Tisch. »Die Besprechung ist beendet.«
»Und?«
»Es tut mir leid, Mylady, ich weiß es nicht.« Ihrem Ton nach wusste sie, dass meine Frage auf Lord Idos Schicksal gezielt hatte. »Aber im Lager heißt es, wir ziehen in ein paar Tagen in den Kampf«, fuhr sie fort.
»Ist das bloß ein Gerücht oder habt Ihr das von Eurem Vater?«, fragte ich.
»Sagen wir so: Als ich einer Einheit zugewiesen werden wollte, sagte man mir, ich würde im Lager bleiben, um die Verwundeten zu pflegen, und ich sollte mich bald bereithalten.«
Wir schwiegen; zweifellos würde es viele Verletzte geben, die versorgt werden mussten.
»Würdest du etwas für mich tun, Vida?«, fragte ich.
»Wenn ich kann, Mylady.«
»Wenn der Kampf losgeht, kümmerst du dich dann darum, dass Lillia in Sicherheit ist? Und Rilla und Chart?«
Sie nickte. »Ich werde es versuchen.«
Es klopfte laut, und sie eilte über die Teppiche zum Eingang. Ich tauchte die Hände in die Schüssel und das kalte Wasser ließ mich frösteln. In welche Gefahr hatte ich meine Mutter und meine Freunde gebracht!
»Mylady.«
Es war Yusos kurz angebundene Stimme und ich fuhr mit tropfenden Händen herum.
Der Hauptmann stand auf der Schwelle; sein schlanker Körper war im Schatten. »Seine Majestät wünscht Euch zu sehen.«
Ich nickte. Zweifellos wollte er mir mitteilen, was sie beschlossen hatten. Vida nahm ein Tuch und gab es mir. Ich trocknete mir die Hände ab und Vida holte meine Rückenscheide.
»Nein, Mylady«, sagte Yuso. »Seine Majestät wünscht, dass ich Eure Schwerter trage.«
Vidas Blick traf den meinen. Niemand von uns bewegte sich unbewaffnet durch das Lager.
»Gib Hauptmann Yuso meine Schwerter, Vida«, sagte ich und setzte mich über den stummen Einwand in ihrer Miene hinweg.
Ich erinnerte mich, dass Yuso nach der Macht der Schwerter gefragt hatte. Dachte Kygo, sie seien eine Gefahr? Dachte er, ich sei eine Bedrohung?
Yuso schlang sich die Rückenscheide über die Schulter. »Mylady, Ihr werdet jetzt erwartet.«
»Sie ist gerade erst aufgestanden«, sagte Vida rasch, kniete sich neben mich und zog den Saum meines Gewands zurecht. »Sie braucht noch ein Weilchen, um sich herzurichten.«
Yusos Blick schweifte durch das Zelt und verweilte auf dem Tisch mit meinen Habseligkeiten. Vielleicht dachte Kygo ja, alles, was ich besaß, sei eine Bedrohung.
Der Hauptmann schaute wieder zu mir. »Lady Eona wird jetzt erwartet«, wiederholte er.
»Schon gut, Vida.« Ich tätschelte ihre Hände, die dabei waren, meine Schärpe wieder zu binden. Widerstrebend zog sie sich zurück.
Ich ging zu Yuso. Wie üblich hatte er seine strenge Miene aufgesetzt, doch in ihm ballte sich die Energie, was sich darin zeigte, dass er unablässig Daumen und Zeigefinger gegeneinanderrieb. Er wusste, dass etwas geschehen würde.
»Ich werde hier warten, Mylady«, sagte Vida.
Ich drehte mich um, lächelte so beruhigend, wie ich konnte, und trat über die Schwelle. Yuso schloss die Tür und führte mich schweigend über den großen Platz vor dem Versammlungszelt. Wir gingen vorbei an kleinen Gruppen, die am Feuer saßen und redeten und lachten, und ihre herzliche Kameradschaft passte so gar nicht zu meiner Unruhe. Ich sah die schattenhaften Umrisse eines Hundes zwischen zwei Zelten, und nur seine weiße Schwanzspitze verlieh ihm im Dunkeln eine feste Form. Ein Kind weinte in der Ferne oder vielleicht war es auch der Klageruf eines Tieres. Bald war offensichtlich, dass wir den dicht besiedelten Teil des Lagers verließen und auf ein Rundzelt zugingen, das ein Stück abseits von den Nachbarzelten lag und vor dessen Eingang ein Wächter stand.
»Wird dort das schwarze Buch aufbewahrt?«
»Ja«, sagte Yuso.
Ich blieb stehen. »Warum will Seine Majestät mich da drin sehen?«
»Es ist an ihm, Euch das zu sagen.«
Der Wächter salutierte, als wir ankamen. Yuso öffnete die Tür, und im gelben Lampenlicht entspannte sich sein schmales, faltiges Gesicht merklich. Er verbeugte sich, ging einen Schritt zur Seite, damit ich eintreten konnte, und blieb einen Moment bei dem Wachtposten stehen, um ihm einen Befehl zuzumurmeln. Beim Betreten des Zelts lief mir ein unbehagliches Gefühl über den Rücken. Nackte Leinenwände, keine Teppiche. Nur ein Mann – ein weiterer Wächter – stand neben dem Tisch, auf dem ein schwarz lackiertes Kästchen prangte. Kein Kygo weit und breit. Der Wächter neigte pflichtschuldig den Kopf.
Yuso führte mich weiter
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