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EONA - Das letzte Drachenauge

EONA - Das letzte Drachenauge

Titel: EONA - Das letzte Drachenauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Goodman
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schlug uns entgegen und trug den süßen Geruch von nassem Gras zu uns. Das durchdringende Grillenzirpen verstummte und die plötzliche Stille dröhnte mir in den Ohren. Ich blickte genau in dem Moment auf, als eine Klaue aus Licht den Himmel durchharkte. Dann rollte ein mächtiger Donner über uns hinweg.
    »Eona, hinter Euch!«
    Als ich Kygos hektische Stimme hörte, fuhr ich herum und richtete den Blick auf den dunklen Waldrand am anderen Ende des Hangs.
    Soldaten waren in einem breiten Halbkreis aus dem Wald getreten, und jeder hatte ein Ji dabei, einen mit Haken besetzten Angriffsspieß. Sie waren nur ein paar Hundert Schritt entfernt und kamen rasch, aber bedächtig näher. Ich zog an Dillons Hand, doch der war auf die Knie gesunken und hielt mich fest wie ein kreischender Anker. Der böige Wind ging in den stärkeren Monsun über, und dessen brutale Wucht stieß mich einen Schritt zurück und nahm mir den Atem. Vor mir bog sich das Gras zur Erde, und die Bäume beugten sich ehrerbietig, während der Sturm die ersten trommelnden Tropfen brachte. Stare flatterten panisch aus den Bäumen auf, stiegen in Spiralen himmelwärts und flogen dann in spitzer Pfeilformation vor dem Wind. Ich schnappte nach Luft, als mir plötzlich kaltes Wasser so wuchtig entgegenschlug, dass mir die Schädeldecke und die Haut schmerzten.
    Ein Stück entfernt trieb Ryko Ju-Long und Tiron weiter vorwärts, fuhr dann herum und zog die Schwerter. Die einsame Gestalt des Insulaners verschwamm im dichten Schleier des niederprasselnden Regens, während die Umrisse von Tiron und dem grauen Pferd sich an uns vorbeischoben. Ich glaubte, den jungen Gardisten durch den Wolkenbruch nach mir rufen zu hören, doch Dillon zog abermals an meiner Hand. Er war wieder auf den Beinen, doch meine Erleichterung schlug um in die erschreckende Erkenntnis: Ich hielt ihn nicht mehr, er hielt mich!
    Und als ich versuchte, mich loszureißen, packte er meine andere Hand und schleuderte mich mit brutaler Kraft im Kreis herum, als wären wir wieder Kinder und spielten Drachenwirbel.
    »Was soll das?«, schrie ich. »Hör auf!«
    »Drachentag, Drachennacht, Drachengeist aufgewacht«, sang er. »Sag deinen Namen, bring dein Licht – zeig uns, wer einst hat die Sicht!«
    Der nasse Saum meines Gewands wickelte sich um meine Beine. Ich stolperte und landete mit dem Knie in einer der sich ringsum bildenden Pfützen. Der Wind hatte sich gelegt, und der Regen fiel wie ein nahtloser grauer Vorhang herab, als leerten die Götter eine Kanne über unseren Köpfen aus.
    »Dillon, die Soldaten kommen!« Ich blinzelte, um das Wasser aus den brennenden Augen zu bekommen. Es rann mir in Rinnsalen über Gesicht und Gewand und machte den rauen Stoff entsetzlich schwer. »Wir müssen rennen.«
    »Welcher Drache? Welcher Drache? Such dir einen aus!«, stieß Dillon in einem Singsang hervor. »Such dir einen aus!«
    Er zerrte an meinen Händen und quetschte meine dünnen Knochen zusammen, als er mich hochriss. Eine solche Kraft war nicht natürlich. Ich warf mich nach hinten, um mich loszumachen, doch er hielt mich unbeirrt fest.
    Gleich oberhalb unserer Handgelenke lockerte die weiße Perlenschnur ihre Umklammerung. Die ersten zwei perfekten Glieder der Kette hoben sich wieder, diesmal wie eine Schlange, die die nasse Luft kostet. Klickend wickelte sich die Schnur ab, bis nur noch eine Schlinge das Buch an Dillons Arm band. Der Rest der Schnur glitt um die Kanten und legte sich auf den Schnitt des Buchblocks wie eine schützende Perlenranke. Dann holte die Schnur aus, schlang sich schnalzend um mein rechtes Handgelenk und fesselte mich an Dillons Linke, als wäre sie ein Hochzeitsband.
    Ich zerrte an der Fessel. Hitze umhüllte meinen Arm und floss durch mich hindurch, zusammen mit einer mächtigen Welle aus Übelkeit. Eine bittere Macht stieg hinter meinen Augen auf und wisperte Worte, die mein Denken angriffen wie Säure. Alte Worte. Das Buch rief mich und weihte mich ein in seine Geheimnisse. Es war ein Buch aus Blut, aus Tod und aus Chaos. Es war das Buch des Gan Hua .
    Sollte es in Dillons Denken wüten, dann war es kein Wunder, dass er schrie und sich mit den Fäusten gegen den Kopf hämmerte.
    Verzweifelt zerrte ich an der Perlenschnur, ich wollte Dillon nicht in den Wahnsinn folgen. Schon jetzt ätzten die Worte ihr Zeichen in mich ein. Ich hatte das Gan Hua in Kinras Schwertern zurückgedrängt, doch verglichen mit dieser lodernden Bitternis war das nur ein mattes Flimmern

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