Epicordia
Gefecht mit dem beleidigten Mondvolk
und der blitzgefährlichen Spinngarde liefern, um schlieÃlich was zu erreichen?«
»Gar nichts«, bekannte Francesco kleinlaut. »Es wäre
ein Kampf bis aufs Blut. Wer übrig bliebe, könnte sich dann an den Tunneln
versuchen. Wahrscheinlich erfolglos.«
»Richtig. Und wir würden den Sturmbringern vermutlich
in die Hände spielen. Also brauchen wir das Mondvolk auf unserer Seite. Und das
kann meines Wissens nur eine einzige Person bewerkstelligen. Zumindest, wenn es
sich denn nicht bloà um eine Legende handelt.«
»Es ist keine Legende«,
gestand Francesco. »Kommen Sie, ich führe Sie hin. Aber glauben Sie nicht, dass
eine Audienz beim Alten Herrn Ihnen automatisch auch dessen Unterstützung
zusichern würde.«
»Ah«, machte Lord Hester, doch es klang sehr
zufrieden. »Dann werde ich mich in Diplomatie üben müssen. Glauben Sie mir,
Senior Bastiani, darauf verstehe ich mich. Sonst würde ich mein Amt als
Rabenlord nicht schon so lange bekleiden.«
Francesco zuckte mit den Schultern.
»Wie Sie meinen«, sagte er. »Aber sagen Sie nicht, ich
hätte Sie nicht gewarnt.«
»Also los!«, kürzte Lord Hester das Ganze ungeduldig
ab. »Wo geht es denn hin?«
»Auf den Mont Saint-Michel«, verkündete Francesco.
»Haben Sie irgendeine normal groÃe Tür? Dann bringe ich Sie hin.«
»Sehr schön«, sagte der Lord. »Und ich muss Sie
natürlich bitten mitzukommen. Anders habe ich doch gar keine Chance, dort
vorzusprechen.«
»Natürlich«, seufzte Francesco. »Gehen wir und retten
die Welt!«
Der Zustand des Alleinseins konnte wie ein
schützender Schild sein. Wichtig war bloÃ, dass man den Unterschied zwischen
dem Alleinsein und der Einsamkeit kenntlich machte und dass man den richtigen
Ort dazu wählte.
Der sogenannte Alte Herr hatte sich den nahezu
perfektesten Ort der Welt ausgesucht, um allein zu sein und dabei doch niemals
einsam. Zu diesem Ort waren Lara und ihre Freunde in diesem Augenblick
unterwegs. In einem mittelgroÃen Peugeot, den sie mithilfe von Jaspers
Kreditkarte im malerischen französischen Küstenstädtchen Saint Malo geliehen
hatten.
Patrick wurde zum Fahren abkommandiert. Jasper befand,
er hätte mit der Bezahlung des Wagens seine
Schuldigkeit getan, und der Rest von
ihnen war (noch) nicht im Besitz einer Fahrerlaubnis.
So rauschte die sommerliche Normandie an ihnen vorbei
mit ihren grünen, teils schon ins Gelbliche übergehenden Wiesen und hin und
wieder dem Blick auf das weite Meer. Der Ãrmelkanal war Teil der Nordsee und es
machte Laras Herz ein Stückchen leichter, das Meer in ihrer Nähe zu wissen. Die
Nordsee gab ihr ein Gefühl von Geborgenheit. Zu Hause. So wie in Edinburgh.
»Warum Spiegel? Was ist das Besondere an ihnen?«,
fragte Lara schlieÃlich. Die Frage war nicht direkt an jemanden gerichtet, aber
ihr war klar, dass nur Jasper eine Antwort liefern konnte.
Und die Antwort war einfach. So einfach. Und doch
erklärte sie schlagartig eine ganze Menge.
»Das Besondere an manchen meiner Spiegel«, sagte er,
»ist, dass manâ⦠durch sie hindurchgehen kann.«
Das war es. So nah lag die Lösung.
»W⦠was heiÃt hier gehen ? So
wie durch Türen?«
»Genau so«, bestätigte Jasper. »Von einem Spiegel zum
nächsten.«
Und so fiel es Lara
urplötzlich wie Schuppen von den Augen.
»Dann ist es Lippi!«, rief
sie. »Dottore Lippi ist der Verräter.«
Sie schlug sich vor den Kopf, während sie sich
erinnerte, dass ihr der groÃe Spiegel in Lippis Praxis aufgefallen war, während
er sie und Tom verarztet hatte.
»Zumindest«, meinte Jasper, »hat er vor Jahren einen
Spiegel erstanden. Er gab ungemein viel Geld dafür aus. Allerdings habe ich ihm
nicht verraten, wie er zu benutzen ist.«
»Das mag er selbst herausgefunden haben«, kommentierte
Lord Hester von hinten (denn während Jasper den bequemen Beifahrersitz
ergattert hatte, zwängten sich Lara und Lord Hester mit Francesco in ihrer
Mitte auf die Rückbank). »Magische Spiegel gibt es eine Menge in und um
Ravinia. Aber von diesen speziellen gibt es nur ganz, ganz wenige.«
»Sonst würden die Leute wahrscheinlich auch lieber
Spiegel statt Schlüssel benutzen«, führte Francesco den Gedanken zu Ende.
»So ist es«, meinte Jasper.
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