Epicordia
Kaffee, Wasser?«
»Tee wäre nett«, nahm Lara an, während Robina dankend
ablehnte.
Und während ein kleiner Wasserkocher auf einer Ecke
von Patrick Davenports Schreibtisch zu rauschen begann, fuhr Lara fort, einen
jungen Mann mit verschiedenfarbigen Augen kennenzulernen. Und sie fühlte sich
ausgesprochen wohl dabei.
Die Nacht war in und um Ravinia immer schon
eine wichtige Tageszeit gewesen, dachte Lara McLane, als sie mit Robina durch
das Herz von Epicordia zurückhuschte. Zurück zur Villa Bastiani, dorthin, wo
ein Bett auf Lara wartete.
Es war viel zu spät geworden, aber mit jemandem in
ihrem Alter zu sprechen â oder zumindest mit jemandem, der ihrem Alter näher
kam als ihre anderen Begleiter â hatte Lara zu sehr in den Bann geschlagen, als
dass sie hätte früher gehen können. Dabei dachte sie normalerweise eher
schlafökonomisch und verdrängte nun erfolgreich, dass sie eigentlich aus einem
ganz anderen Grund lange bei Tee und Keksen und noch mehr Tee und noch mehr
Keksen bei Patrick Davenport geblieben war. Das würde sich noch früh genug aus
den Tiefen ihres Unterbewusstseins ans Tageslicht schälen. Sofern man in einem
riesigen Gewirr aus Gängen und Höhlen tief im Fels unter einer magischen Stadt
überhaupt von Tageslicht reden durfte. Und auÃerdem war es ja überhaupt nicht
mehr Tag.
Lara sah an die Decke der riesigen Herzhöhle über Elo.
Die fluoreszierenden Steine und Pilze hatten â wie von Francesco prophezeit â eine
dunklere, bläuliche Färbung angenommen und ihren Ausstoà an Licht verringert.
Weit über Lara funkelten sogar einige Sterne. Oder zumindest etwas, das auf die
Entfernung sehr ähnlich aussah. Und Lara überlegte, ob man nicht hinaufklettern
und diese Sterne zu pflücken vermochte, wenn man es denn schon bei den Sternen
auÃerhalb Epicordias nicht konnte.
Auf möglichst leisen Sohlen betraten Robina und Lara
die Villa der Bastianis. Das Mondmädchen wünschte Lara eine gute Nacht und
verschwand in einem anderen Teil des Gebäudes.
Lara hingegen schlich in
Richtung des Gebäudeflügels, in dem Helena Bastiani ein Gästezimmer für Geneva
und sie hergerichtet hatte. Doch auf dem Weg zur Treppe lenkte sie ein
Lichtschein ab, der von der Küche herzurühren schien. Vielleicht war Helena
Bastiani noch auf und kümmerte sich um den Abwasch? Dann sollte sie ihr noch
helfen. Immerhin hatten die Bastianis trotz ihrer offensichtlichen Abneigung â oder
zumindest Verunsicherung â ihnen gegenüber eine bemerkenswerte Gastfreundschaft
an den Tag gelegt. Schlafen würde Lara diese Nacht ohnehin nicht mehr genug. Da
konnte sie genauso gut auch noch einen Abstecher in die Küche machen.
Leise schob sie die Küchentür auf und war überrascht,
wen sie dort auf zwei Stühlen sitzend und mit einer Flasche Wein auf dem Tisch
vorfand: Geneva McNamar und Tom Truska.
»Hey Lara«, sagte die Nachtwächterin.
»Hey«, erwiderte Lara.
Das war
wirklich seltsam. Da saà ihr sonst so oft muffelnder und mürrischer
Schlüsselmachermeister mit einer wunderschönen Frau nächtens an einem Tisch und
trank Wein.
»Möchtest du auch etwas?«, fragte Tom sie umgehend.
Völlig unbefangen. Zu Laras heimlicher Enttäuschung lieÃen die beiden nicht
durchschimmern, dass sie vielleicht lieber allein gewesen wären.
»Klar, warum nicht. Was trinkt ihr denn da?«
»Brunello von 1990.«
Lara sog scharf die Luft ein. Sie hatte nicht viel
Ahnung von Weinen, wusste bloÃ, dass Brunello eine rote Traube war, aber 1990
war ganz schön alt. Ãlter als sie selbst.
Geneva grinste.
»Keine Panik, Lara. Ist schon okay .
Helena hat sie uns als Entschädigung für die verkorkste Gastfreundschaft
gegeben. Die Bastianis haben ganze Gallonen davon im Keller. Aber ich muss
zugeben«, sie schwenkte ihr groÃes Ballonglas unter dem Schein einer einzelnen
Küchenlampe, »das ist schon richtig gutes Zeug.«
Tom hatte ein weiteres bauchiges Glas aus einem der
riesigen Geschirrschränke entwendet und schenkte Lara ein paar Finger breit
ein.
Der Wein war wirklich ein Erlebnis, das musste Lara
ihm lassen, obwohl sie sonst eher wenig mit Wein anzufangen wusste. Wie ganz
allgemein mit alkoholischen Getränken. Den Whiskys aus ihrer schottischen
Heimat konnte sie hervorragende malzige Gerüche abgewinnen, aber sie waren ihr
Weitere Kostenlose Bücher