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Epicordia

Epicordia

Titel: Epicordia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Corzilius
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das?«
    Â»Hey«, er stupste sie an. »Ich lebe von Geschichten – oder
will es zumindest mal tun. Es gehört dazu, dass ich ein paar kenne.«
    Lara lächelte. Es gefiel ihr, von ihm geneckt zu
werden.
    Schließlich kamen sie an einen Durchbruch in den
Zinnen. Ein aus Holz gebauter Steg mit einem nicht sehr vertrauenerweckenden Geländer ragte dort über die Mauer
hinaus. Lara beugte sich nach vorn, um mehr erkennen zu können. Tief unter ihr
toste der dunkle Fluss, der nirgendwohin führte.
    Tom betrat den Steg – wie immer furchtlos allen
Ungewöhnlichkeiten gegenüber, die Ravinia zu bieten hatte. An den Steg schloss sich eine schief gezimmerte Treppe an und
führte hinein in ein Gewirr aus hölzernen Wegen und Gerüsten,
Plattformen und Veranden, die alle irgendwie von der Stadtmauer getragen
wurden. Aber wie? Viel zu selten erblickte Lara eine hölzerne Strebe oder einen
Balken, der tief in das feuchte Mauerwerk gerammt sein mochte oder in einem
grotesken Winkel etwas stützte. Kleine Häuser waren zwischen den Ebenen
errichtet, mehr Schuppen als Wohnungen. In manchen brannte Licht und es
rauchten Schornsteine, andere waren dunkel.
    Sie hießen nicht ohne Grund die hängenden Siedlungen.
So richtig wusste wahrscheinlich niemand um die Funktionsweise ihrer Statik.
    Lara und ihre Begleiter stiegen weitere Treppen hinab,
kletterten andere empor, schoben sich über schmale Stege und gewundene Planken.
Am besten dachte man nicht darüber nach, dass direkt unter ihnen die Fluten des
Flusses tobten, über den man die grausigsten Dinge munkelte. Er schien in der
Vorstellung vieler Leute so etwas wie ein lebendiges Wesen zu sein, das
Menschen und Schiffe gleichermaßen verschlang. Man hatte einst versucht, ihn
mit Schiffen zu befahren, aber es hatte nicht geklappt. Die Einwohner Ravinias
hatten auch einst erforschen wollen, was jenseits der Flussbiegungen lag, sie
hatten entdecken und Handel treiben wollen. Sie waren nie zurückgekehrt. Der
alte Hafen zeugte noch davon und war ansonsten nutzlos. Die Schiffe waren von
seltsamen Kräften in die Tiefe gezogen worden, bevor sie überhaupt richtig
Fahrt aufgenommen hatten. Doch jeweils schon viel zu weit von der Stadt
entfernt, als dass noch eine Rettung möglich gewesen wäre. Verwunderlich blieb
in diesem Zusammenhang nur, dass nicht auch die Pfeiler und Stützen, welche die
alten Anleger und Stege im Hafen oder gar die Verbotenen Brücken trugen,
vernichtet worden waren. Es schien beinahe mit Zauberei zuzugehen. Aber warum
auch nicht? Ravinia war ein geradezu magischer Ort.
    Nach einigen weiteren Klettereinlagen und völlig durchnässt erreichten sie schließlich ein Haus, das
aufgrund seiner Größe im Vergleich zu den umliegenden diese Bezeichnung
schon beinahe verdient hatte. Die Fenster waren dunkel und es brannte kein
Licht darin. Zamora stand auf einem Schild neben der
Tür.
    Â»Ich dachte, Mama Zamora wohnt in der Nähe des
Rondells«, wunderte Lara sich.
    Tom zuckte mit den Schultern.
    Â»Leute ziehen auch in Ravinia manchmal um. Wohl aus
denselben Gründen wie andere Leute auch.«
    Er klopfte.
    Nichts geschah.
    Er klopfte erneut, diesmal energischer.
    Ein drittes Mal, ein viertes Mal.
    Nichts.
    Tom versuchte durch die zugezogenen Fensterläden
hineinzulugen, aber auch das erwies sich nicht als erfolgreich.
    Â»Sollen wir einfach hineingehen?«, fragte Lara.
    Â»Keine gute Idee«, sagte Tom entschlossen. »Wenn ich
mir irgendwo unerlaubterweise Zutritt verschaffen sollte, dann sicherlich nicht ins Haus einer Wahrsagerin. Diese
Leute können weiß Gott was alles mit ihren Lichtgeistern, Kristallkugeln,
Talismanen und dem ganzen anderen Zeug machen. Stell dir mal vor, wir
würden in eine Art Alarmanlage laufen – das riskier ich ganz sicher nicht.«
    Â»Was sollen wir tun?«
    Â»Wir finden eine andere Lösung. Erst mal suchen wir
eine andere Wahrsagerin auf, die uns vielleicht helfen kann.«
    Â»Und wen?«
    Â»Die Kreidefrau.«
    Natürlich. Lara konnte sich auch nicht vorstellen,
dass Tom besonders viele Wahrsager kannte. Er und die Wahrsager – das waren
einfach zwei Welten, die aufeinanderprallten.
    Während sie ihren Weg
wieder hinauf in Richtung der sicheren
Stadtmauer suchten, wünschte sie sich, sie hätte ihren MP 3-Player nicht im Gästezimmer der Bastianis gelassen und passende Musik
dabeigehabt.
    Travis

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