Epsilon
Gesichtszüge ein.
»Und dann ist da natürlich noch mein Vater«, fuhr Susan fort. »Du musst auch wissen, wie er aussieht.«
Hinter ihnen erklang das Geräusch einer sich öffnenden Tür.
Charlie drehte sich um – und der Atem stockte ihm. Der silberhaarige Mann, der vor dem dunklen Hintergrund des Hausinneren in der Tür stand, ein leichtes Lächeln auf den Lippen und die Augen unverwandt auf Charlie gerichtet, war Control.
»Das ist mein Vater. Sein Name ist Amery Hyde«, sagte Susan. »Ich habe ihn von einem alten Foto generiert, das ich noch in meiner Tasche hatte. Deshalb sieht er ein wenig wie eine Wachsfigur aus. Aber wenigstens wirst du ihn wiedererkennen, wenn du ihm begegnest – alles klar, Charlie?«
Sie sah ihn an, wartete auf eine Antwort. Doch Charlie war wie betäubt; er konnte kaum atmen. Einen verrückten Augenblick lang dachte er, er würde ohnmächtig werden oder sogar auf der Stelle tot umfallen, sich innerhalb dieses künstlichen Universums auflösen und zu einem bloßen Behälter wirrer elektrischer Impulse werden.
»Charlie?«, hörte er Susan sagen. Er glaubte, einen Anflug von Besorgnis in ihrer Stimme zu entdecken, ohne sagen zu können, ob diese Besorgnis real oder nur ein weiterer Teil der virtuellen Welt war, in der er sich befand – oder einfach nur ein Produkt seiner Einbildung. Nein, in diesem Augenblick konnte er gar nichts sagen. Er war sich nicht einmal sicher, ob er etwas denken konnte. Nicht nur die Worte fehlten ihm, auch die Gedanken.
»Charlie, ist alles in Ordnung? Ich registriere bei dir eine sehr seltsame Reaktion.«
Nur mit Mühe konnte er seinen Blick von dem erstarrten Abbild Controls losreißen und auf das lebendige Bild von Susan richten.
»Was ist los, Charlie? Ist etwas nicht in Ordnung?«
»Ob etwas nicht in Ordnung ist?«, wiederholte er ungläubig. Seine Stimme schien durch verschiedene Ebenen zu schwingen, als hätte sich sein Schädel in einen Hohlraum mit Echo verwandelt. »Weißt du nicht, wer das ist?«
»Das habe ich doch schon gesagt – das ist mein Vater.«
Charlie blickte erneut zu der großen, aristokratischen Gestalt im Türrahmen hinüber. »Ist das eine Art Test?«, fragte er.
»Nein, warum?«
Charlie antwortete nicht. Er konnte die Intensität, mit der Susan ihn musterte, spüren, ohne sie anzusehen.
»Charlie?«
Er gab noch immer keine Antwort. Seine Gedanken überschlugen sich.
»Charlie!«, wiederholte Susan, diesmal mit noch mehr Nachdruck in der Stimme. »Sag mir, was in deinem Kopf vorgeht! Ich muss wissen, was das alles bedeutet.«
»Das ist der Mann, den ich Control nenne«, erwiderte er.
Diesmal war sie es, die schwieg. Charlie drehte sich zu ihrem Abbild um. Susan stand wie erstarrt da, auf ihrem Gesicht zeigte sich keinerlei Regung. Dennoch lag Betroffenheit in ihrem Schweigen. Möglicherweise aber empfing er dieses Gefühl auch über das Verbindungsgerät im Labor direkt von ihrem Gehirn.
»Du irrst dich«, sagte sie schließlich, und ein seltsamer Ton schwang in ihrer Stimme – ihrer elektronisch erzeugten, künstlichen Stimme. Ein Ton, den er zuvor noch nicht an ihr gehört hatte und daher nur unzureichend zu interpretieren vermochte. »Du musst dich irren!«
»Ich fürchte, nicht.«
48
Sie waren fast augenblicklich zurück im Labor. Die Zeit war vorbei, das Programm beendet. Die beiden Wachen saßen wie gewöhnlich in ihren Ecken, und Susan war dabei, Charlie den Kopfhörer abzunehmen und ihn neben ihren zu legen, den sie selbst gerade erst abgesetzt hatte. Sie wirkte äußerst angespannt. Charlie konnte es in ihrem Gesicht sehen und spürte es förmlich in den Schwingungen, die von ihr ausgingen.
»So, Charlie«, sagte sie, »an wie viel von dem, was gerade geschehen ist, können Sie sich erinnern?«
Er erinnerte sich natürlich an alles, und das wusste sie auch. Frage und Antwort, die sie geprobt hatten, waren alleine für die Aufnahmegeräte im Labor bestimmt. Susan wollte jeden glauben lassen, dass die Experimente, die sie durchführte, langsam Ergebnisse zeigten. Sie hatte behauptet, eine Methode perfektionieren zu wollen, mit deren Hilfe man Erinnerungen nach Belieben erzeugen oder löschen konnte; letzten Endes, so hatte sie gesagt, würde sie dazu in der Lage sein, Charlies Gehirn so leicht wie einen Computer zu programmieren.
Charlie runzelte die Stirn und hielt sich an die Vereinbarung.
»Nicht viel«, antwortete er. »Um ehrlich zu sein, jetzt, wo Sie nachfragen, erinnere ich mich an gar
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