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Epsilon

Epsilon

Titel: Epsilon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ambrose
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würde Charlie sicher keine Probleme bereiten – vorausgesetzt, er schaffte es so weit. Natürlich bestand noch immer die Gefahr, dass er es sich anders überlegte und sich einfach davonmachte. In diesem Fall würde sie die Wahrheit über ihren Vater vielleicht nie erfahren, und das wäre möglicherweise sogar ein Segen.
    Doch tief im Herzen wusste sie, dass ein solcher Verdacht, sobald er einmal aufgetaucht war, nie wieder verschwinden würde oder verdrängt werden könnte. Wenn sie ehrlich war, verspürte sie Erleichterung darüber, dass es nun Charlies Entscheidung war, ob die Integrität ihres Vaters infrage gestellt wurde – und damit auch eine der Grundfesten ihres Lebens.
    Susan nahm zusammen mit Christopher ein schnelles Frühstück ein. Sie hatte ihm versprochen, danach mit ihm auszureiten. Ihren Einwand, dass sie seit Jahren auf keinem Pferd mehr gesessen hätte, hatte er damit entkräftet, dass sie ja die gutmütige alte Stute ausprobieren könne, die Michael für sie ausgewählt hatte. Und außerdem würde Michael sie begleiten, was also konnte schon schief gehen? Susans größte Befürchtung (dass die Dinge ins Rollen kommen könnten, während sie und Christopher zu weit von der Ranch entfernt waren) blieb notgedrungen unausgesprochen. Dann überschlug sie jedoch schnell im Kopf, wann Charlie frühestens bei ihnen eintreffen konnte – vorausgesetzt, alles ging nach Plan –, und befand, dass ein kurzer Ausritt früh am Morgen kein Problem darstellen würde.
    Buzz musste dazu überredet werden, im Haus zu bleiben. Er gehorchte nur widerstrebend, doch ein kurzer Abstecher in Mrs. Hathaways Küche und ein großer Knochen zeigten schließlich die gewünschte Wirkung. Der Ritt war angenehm, die Luft klar und erfrischend. Susan genoss das Naturerlebnis intensiver als erwartet, dankbar für die Ablenkung von dem düsteren Gedanken daran, was in den nächsten Stunden alles geschehen konnte. Es war eine Erleichterung, nicht viel reden zu müssen, außer Christopher immer wieder zu bestätigen, dass das eine großartige Idee gewesen sei; und ja, das Pferd sei genauso gutmütig und leicht zu handhaben, wie Michael es versprochen hatte; und ja, Christopher könne schon viel besser reiten als beim letzten Mal. Ebenso überrascht stellte sie fest, dass sie mehr als einmal laut lachen musste und für einen kurzen Augenblick die fürchterliche Bedrohung vergaß, die über ihnen schwebte.
    Michael begleitete sie, hielt aber respektvollen Abstand und sprach im Großen und Ganzen nur dann, wenn er gefragt wurde. Dennoch hatte Susan den Eindruck, dass sie von einem bewaffneten Aufpasser begleitet wurden, auch wenn sie mit bloßem Auge keine Waffe an ihm entdecken konnte; doch etwas in seinem Verhalten, die Wachsamkeit, die sie in seinen blassblauen, jungenhaften Augen las, das Handy, das wie eine Pistole an seinen Gürtel geschnallt war, all das erinnerte sie daran, dass sie und Christopher trotz der oberflächlich entspannten Atmosphäre, die an diesem Ort herrschte, noch immer Gefangene waren.
    Ein hohes Sirren, gefolgt von einem dumpfen Dröhnen, durchbrach die Stille. In der Ferne erhob sich der Helikopter über die Bäume, schwebte eine Weile auf der Stelle, kippte dann zur Seite und flog in Richtung Flughafen davon.
    »Das ist Joe. Er holt Opa ab«, erklärte Christopher mit der Autorität desjenigen, der bestens über alles informiert ist. Er winkte der davonfliegenden Maschine hinterher.
    Auch Susan starrte dem Helikopter hinterher, als trüge er auf unerklärliche Weise all ihre Hoffnungen mit sich – nicht nur die Hoffnung auf Flucht, sondern auch darauf, Geheimnisse zu entschlüsseln, die so tief verborgen lagen, dass sie bis heute nicht einmal etwas von ihrer Existenz geahnt hatte.

    Latimer West nahm das Frühstück in seinem Apartment ein. Es lag hinter dem Büro, in dem er Susan Flemyng oft ausgefragt, mit ihr gestritten und neuerdings immer häufiger eine Art Einvernehmen erreicht hatte. Das Apartment war wie sein Büro bequem und geräumig, ein Penthouse, das über zwei Drittel der Länge des Hauptgebäudes lief, mit einer breiten Terrasse auf zwei Seiten.
    Das erste Anzeichen von Unannehmlichkeiten deutete sich an, als West von unten Stimmen hörte: Männer, die sich aufgeregt etwas zuriefen. Dann ertönte der Alarm. West erhob sich langsam, wischte sich die Mundwinkel sorgfältig mit der weißen Leinenserviette ab und öffnete die Glastür zu seiner Terrasse. Als er nach unten blickte, entdeckte er

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