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Epsilon

Epsilon

Titel: Epsilon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ambrose
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nichts. Habe ich geschlafen?«
    Susan antwortete nicht sofort, genau wie abgesprochen.
    »Erinnern Sie sich an mich?«, fragte sie. »Erinnern Sie sich daran, wer ich bin?«
    Er gab vor, ihr Gesicht zu studieren, als würde ihn die Frage überraschen. »Nein«, erwiderte er. »Sollte ich das? Ich glaube nicht, dass ich Sie je zuvor gesehen habe.«
    Susan nickte kurz, als wäre das die Antwort, die sie erwartet hatte. »Sie können ihn jetzt in seine Zelle zurückbringen«, sagte sie, und die beiden Wachen erhoben sich und bedeuteten Charlie, dasselbe zu tun.
    Charlie hielt Susans Blick einen Moment lang gefangen, und jeder wusste, was der andere dachte. Log Charlie, oder irrte er sich nur? Oder wusste Susan tatsächlich nicht, wer dieser Mann, den sie ihren Vater nannte, in Wirklichkeit war?
    Der Ranghöhere der beiden Wachmänner befahl Charlie, sich in Bewegung zu setzen. Auf dem Rückweg in seine Zelle erlag Charlie beinahe der Versuchung, herauszufinden, ob Susans Behauptung tatsächlich zutraf und sie das Implantat in seiner Brust neutralisiert hatte. Das Verlangen, den beiden Gorillas die Überraschung ihres Lebens zu bereiten, war fast überwältigend. Er hätte auf der Stelle, hier und jetzt, entkommen können – wenn das, was Susan ihm gesagt hatte, der Wahrheit entsprach. Wie auch immer: Es gab wenig zu verlieren und viel zu gewinnen. Wenn sie gelogen hatte und das Implantat noch immer funktionierte, war das Schlimmste, was ihm passieren konnte, eine Weile das Bewusstsein zu verlieren; wenn sie die Wahrheit gesagt hatte, war er frei.
    Dennoch beschloss er, sich zu gedulden und längerfristig zu denken; jedenfalls weit über das spontane Vergnügen hinaus, die beiden Burschen auseinander zu nehmen. Er erinnerte sich daran, dass Susan ihn davor gewarnt hatte, Gewalt anzuwenden, und sie hatte Recht. Wenn das alles hier vorüber war, sollten die Leute mehr in ihm sehen als bloß eine Kampfmaschine. Er hatte bereits getötet – oft sogar – , doch es hatte ihm nie besondere Befriedigung verschafft. Es war einfach eine Tätigkeit, für die er ausgebildet worden war. Für die er erschaffen worden war.
    Die Vorstellung war eigenartig, dass all die mächtigen Einflüsse, die ihn zu dem gemacht hatten, der er war – die schwere Kindheit, die Prügel und all die Wut –, nicht mehr als bloße Illusionen gewesen waren. Doch warum nannte er sie bloße Illusionen? Auch das hatte Susan ihn gelehrt: Am Ende musste man das Wort virtuell aus dem Begriff »Virtuelle Realität« streichen, denn letztendlich bestand zwischen virtuell und real kein Unterschied.
    Zu wissen, dass er ein Mutant war – weder ganz Schimpanse noch ganz Mensch –, machte jedoch sehr wohl einen Unterschied. Seltsamerweise fühlte er sich, sofern er überhaupt etwas fühlte, weniger von der übrigen Menschheit isoliert als zuvor. Nun wusste er, dass die Welt, in der er lebte, ganz allein seine war; er konnte sie nicht mit anderen seiner Art teilen, denn es gab keine anderen. Diese Erkenntnis hatte die Art und Weise, wie er die übrigen Menschen sah, verändert. Er fühlte sich ihnen weniger überlegen. Nein, er war nichts Besonderes, er war einfach nur anders.
    Wohin, so fragte Charlie sich, würde ihn das führen?
    Auch Susan schlief in dieser Nacht nicht sehr viel. Sie verspürte das unwiderstehliche Bedürfnis, aufzustehen und umherzugehen, sich einen Drink zu mixen, eine Zigarette zu rauchen – wenn es nur half, den nagenden Zweifel und all die Fragen, die ihr durch den Kopf gingen, zu verdrängen. Doch sie fürchtete sich vor den unsichtbaren Kameras und Abhörgeräten, die mit Sicherheit überall angebracht worden waren. Sie durfte sich ihre Unruhe auf keinen Fall anmerken lassen.
    Veranstaltete Charlie irgendwelche Spielchen mit ihr? Wollte er sich auf diese Art rächen? Das war genauso unwahrscheinlich wie die Vorstellung, dass ihr Vater derjenige war, der zu sein Charlie ihm vorwarf. Zumindest das stand vollkommen außer Frage. Oder?
    Als sie so im Dunkeln lag, dachte sie an ihr Leben zurück und an die Rolle, die ihr Vater darin gespielt hatte. Er war stets ein dominanter Faktor gewesen, wenn auch oft nur aus der Ferne. Seine Bedürfnisse hatten in der Familie Vorrang gehabt, und die Richtung, in die sich ihr Leben entwickelt hatte, war letztendlich immer von ihm bestimmt worden, und sei es auch nur indirekt. Aber sie waren eine glückliche Familie gewesen. Susans frühe Erinnerungen an ihn waren, verglichen mit denen an ihre Mutter, nur

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